„Die Pseudo-Krise“ ....Hier verschlägt es einem dem Atem - von Empathie keine Spur
Am 21. März 2020 veröffentlichten und inzwischen leider weit verbreiteten Artikel des Journalisten Sven Böttcher mit der eigentlich harmlosen Überschrift „Die Pseudo-Krise“. Von der Überschrift urteilend dachte ich zuerst, der Artikel gehört in die Kategorie jener Leute, die davon ausgehen, dass die derzeitigen Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen zur Eindämmung der Epidemie total überzogen sind.
Da nicht wenige, namhafte Epidemiologen im In- und Ausland ebenfalls dieser Meinung sind, habe ich durchaus Verständnis und auch eine gewisse Sympathie für diese Position. Schließlich räumen sogar die meisten der offiziell bestellten Epidemiologen ein, dass es unterschiedliche Meinungen über Schwere und Verlauf der COVID-19 Krankheit gibt und entsprechend unterschiedlich werden die einschneidenden Quarantäne- und Schutzmaßnahmen beurteilt.
Vor diesem Hintergrund sind die Aufrufe in ZDF, ARD und anderen öffentlich-rechtlichen Sprachrohren der Regierung, das Volk solle nur den offiziellen Verlautbarungen vertrauen, und sich nicht bei sogenannten alternativen Medien im Internet informieren, geradezu lächerlich. Diese Aufrufe erinnern an das Motto: „Vertraut uns, wir sind von der Regierung“. Sie bewirken eher das Gegenteil, vor allem, weil viele Menschen die eklatanten Lücken in der Informationspolitik und die regierungsfreundliche Schönfärberei dieser Medien während der letzten zwei Jahrzehnte nicht vergessen haben.
Zudem beschleicht viele kritische Geister ein mulmiges Gefühl angesichts der vielen, tief in die persönlichen Freiheitsrechte eingreifenden, neuen Gesetze, die im Schnellverfahren von einem kaum besetzten Corona-Notparlament durchgewunken werden. Sie befürchten, sicherlich nicht ganz zu Unrecht, dass damit die herrschende Klasse und die von ihr geführte Regierung nach der traditionellen Maxime des bürgerlichen Herrschaftssystems handeln, nämlich: „keine Krise oder Katastrophe ungenutzt vergeuden“. Denn nur in solchen Notsituationen können die Regierenden die längst fertig in den Schubladen liegenden Gesetze, die in Normalzeiten keine Chance hätten, im Parlament durchziehen.
Und dann gibt es im Internet noch eine nicht unbeachtliche Gruppe von links firmierenden Leuten, die in der Corona-Krise nichts anderes als eine künstliche, absichtlich herbeigeredete pseudo-Krise sehen, also eine Verschwörung der Herrschenden, um unsere Freiheitsrechte, Versammlungsrechte etc. abzuschaffen und den Weg zur Diktatur zu ebnen.
Der Artikel von Böttcher passt im Gegensatz zu seinem Titel in keine dieser eben angesprochenen Kategorien richtig hinein. Vielmehr beginnt er damit, die Zahl der bisher an Corona verstorbenen Menschen unter Verweis auf die weltweit etwa 25.000 täglichen Hungertoten zu relativieren, für die wir – so Böttchers Originalton – jetzt „kein zusätzliches Klopapier“ mehr brauchen. Auch wegen der 15.000 täglichen Toten, die an den Folgen des Rauchens sterben, rege sich keiner auf, ganz im Gegensatz zu den par Covid-19 Toten, wegen denen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben weitgehend eingefroren werde.
Dabei – so argumentiert Böttcher weiter – besteht die große Mehrzahl der Corona-Toten aus gesundheitlich bereits vorbelasteten, alten Menschen. An diesen anderen Krankheiten wären die ohnehin eher früher als später verstorben. Mit anderen Worten Corona beschleunigt nur das Ableben der ohnehin Todgeweihten. Deshalb sollten diese Alten nicht länger wichtige Ressourcen im Hospital blockieren und stattdessen zu Hause sterben.
Die Betten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser sollen für die jungen Corona-Patienten frei bleiben. Damit wäre erreicht, das man sich keine Sorge mehr über ausreichende Betten auf den Intensivstationen machen müsste, weshalb die ganzen Quarantäne und Schutzmaßnahmen hinfällig würden. Die Jungen könnten sich ihrer Freiheitsrechte wieder erfreuen, sich frei bewegen und die unterbrochene Party weiter feiern.
Das sind offensichtlich die Beweggründe, weshalb Böttcher die Behandlung von an Corona erkrankten, alten Menschen mit Vorerkrankungen auf den Intensivstationen rundweg ablehnt. Weiter im O-Ton Böttcher:
„Deshalb möchte ich morgen von allen offiziellen Stellen weltweit hören: ‚Über 80-jährige mit drei Vorerkrankungen und frischer Lungenentzündung behandeln wir nicht auf Intensivstationen, die schicken wir zum Sterben nach Hause, denn sterben müssen ja alle.“
Mit unmenschlichem Zynismus fügt er dann arrogant hinzu:
„Jüngeren ist es auch wieder gestattet, Sterbenden die Hand zu halten. Und sich zu Trauerfeiern zu versammeln. Auf eigene Gefahr. Unsere Intensivstationen und unser medizinisches Personal stehen selbstverständlich jüngeren Corona-Lungenentzündungspatienten weiter offen. Die Mortalitätsrate bei U-80, nicht vorerkrankten Corona-infizierten Patienten liegt derzeit bei etwa 0 Prozent.“
Man kann nur hoffen, dass der Journalist Böttcher diesen unsäglichen Erguss in einem Moment mentaler Schwäche geschrieben hat, denn wenn dies seine Meinung sein sollte, dann ist sie zutiefst verbrecherisch. Tatsächlich ist es nichts anderes als ein Aufruf zur Euthanasie, ein Aufruf zur Vernichtung unwerten Lebens, das für die Volksgemeinschaft zu keinen produktiven Zwecken mehr ausgenutzt werden kann; nach dem Motto: Das sind alle unnütze Esser und Verbraucher wichtiger medizinischer Ressourcen. Die Vernichtung solcher Leben war einmal Teil staatlicher Politik in Deutschland gewesen. Und das ist noch gar nicht so lange her.
Im Unterschied zu Böttcher hatten die deutschen Faschisten lediglich eine andere Priorität in der Selektion ihrer Euthanasie Opfer. Während Böttcher es auf die unnützen Alten abgesehen hat, vernichteten die Nazis geistig und schwer körperlich behinderte Menschen, egal wie jung oder alt. Im Prinzip sind beide des gleichen faschistischen Geistes Kind. Deshalb ist der Aufruf Böttchers keine Meinungsäußerung sondern ein Verbrechen, genau wie Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist.
Wenn Böttcher tönt: „Über 80-jährige mit drei Vorerkrankungen und frischer Lungenentzündung behandeln wir nicht auf Intensivstationen, die schicken wir zum Sterben nach Hause“, dann ist er noch brutaler als damals die Nazis. Denn er müsste wissen, dass es ohne Unterstützung von medizinischem Personal und entsprechenden Geräten nicht viele Todesarten gibt, die qualvoller sind als der langsame, sich hinziehende Erstickungstod durch Lungenentzündung. Im Vergleich zu Böttchers Aufruf wäre die schnell wirkende Todesspritze, welche die Nazis ihren Opfern setzten, ein Akt der Humanität.
Das Ende der an Lungenentzündung durch Corona leidenden und zum Sterben nach Hause geschickten Menschen wird dagegen von Böttcher geradezu idyllisch geschildert: „Ärzte bezeichnen die Lungenentzündung als Freund der ganz Alten, denn wir müssen an irgendwas sterben und das Wegdämmern ins Ewige ist fast allen anderen Abgängen vorzuziehen.“
Dieses „Wegdämmern“ ist jedoch nur mit Hilfe eines Beatmungsgeräts und entsprechender Medikamente zu erreichen, was Intensivstation bedeutet. Ohne das ist das zu Hause ein qualvoller Erstickungstod.
Das einzige Problem, das Böttcher im Zusammenhang mit seinem Vorschlag sieht, ist das damit verbundene Massensterben, das eine „logistische Krise“ verursachen könnte. Denn zu den üblichen alljährlichen 55 Millionen Toten müssten laut Böttcher zusätzlich knapp 250 Millionen Korona-Tote im Jahr entsorgt werden. Laut Böttcher sind das in der Regel „sehr alte Menschen, die ein paar Tage, Wochen oder Jahre zu früh verloren“ gingen. Das aber hätte „aus Gründen der ‚Ressourcen- und Klimaproblematik‘ sogar Vorteile“.
Dieser kaltblütige, Menschen verachtende Ton, wenn es um den geplanten Tod von Millionen Menschen geht, findet sich auch in den Protokollen der Wannseekonferenz von 1942, bei der es um die „Endlösung der Judenfrage“ ging.
Man fragt sich, was zum Teufel hat Böttcher zu diesem Artikel getrieben, bei dem ihn der hypothetische Tod, von 250 Millionen Menschen nicht kümmert, wobei es sich wohlgemerkt aus seiner Sicht nur um minderwertige, sehr alte Menschen handelt. Vor dem Hintergrund der Quarantäne, der geschlossen Restaurants, Kneipen, Kinos, Treffpunkte, etc. ist es offensichtlich Böttchers Sorge um seinen persönliche Spaß und den von seinesgleichen, die ihn umtreibt. Etwas verklausuliert und heroisiert liest sich das in seinem Artikel so: „Aber noch wesentlich beunruhigender ist, dass wir jetzt alles schrotten, was wir über Jahrhunderte so schwer erkämpft haben, was uns lieb und teuer und lebenswichtig ist: Freiheit, Grundrechte, die Zukunft unserer Kinder. Und alles wegen einer Lungenentzündung, an der nur uralte Leute sterben?“
Diesem Verfasser kann man Naivität nicht als Entschuldigung durchgehen lassen! Was wir hier sehen ist der neoliberal getünchte Trend zum Faschismus, ein Zug auf den immer mehr pseudolinke Schwätzer und Klima-Scharlatane aufspringen.
Bis zum 22.3. dieses Monats hatten sich bereits 130.000 Menschen den Text von Rainer Rupp im Vorleseformat bei Youtube angehört. Das Verhältnis von Zustimmung (Daumen hoch) zu Ablehnung (Daumen runter) war 6:1. Aus den über 1500 geschriebenen Kommentaren geht hervor, dass die meisten Leute den Artikel von Böttcher als Angriff gegen die als exzessiv empfundenen Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit sehen. Alarmierend ist, dass so gut wie niemand den zutiefst menschenverachtenden, ja faschistischen Charakter von Böttchers Lösungsvorschläge und deren ideelle Nähe zur Euthanasie der Nazis erkannt hat.
Leute wie Böttcher sind dabei, einen Damm einzureißen. Wenn Menschen wieder akzeptieren, dass es zweierlei Leben gibt, wertvolles und weniger wertvolles, dann sind es bald nicht mehr nur Alte über 90 Jahre, die im Hospital nicht mehr aufgenommen und zum Sterben nach Hause geschickt werden. Warum soll das nicht auch für die über 80 oder die über 75 gelten? Und dabei wird es nicht bleiben. Schon bald werden auch andere Menschengruppen, womöglich Muslime oder andere als minderwertig behandelt werden; Forderungen werden laut, dass ihnen kostspielige Dienstleistungen im Krankenhaus vorenthalten werden, bzw. dass sie zum Sterben nach Hause geschickt werden.
Allen, die ihre guten Gründe haben, weshalb sie glauben, dass die gegenwärtigen Anti-Corona-Maßnahmen exzessiv und durch nichts gerechtfertigt sind, könnte das Urteil von Richter Archie Campbell vom Obersten Gerichtshof von Ontario in Kanada als Richtschnur dienen.
Auch während der SARS-Epidemie 2002/2003 hatte die kanadische Regierung viele Maßnahmen ergriffen, die als unangemessen betrachtet wurden, zumal es sich später herausstellte, dass die Epidemie bei weitem nicht so schwer war, wie ursprünglich befürchtet. Im Jahr 2006 wurden die Klagen gegen die Regierung verhandelt und dabei wurde der Lackmustest für das Prinzip der Vorsorge wie folgt klar definiert:
Zitat: „Wenn es vernünftige Beweise für eine akute Bedrohung der öffentlichen Gesundheit gibt, ist es unangemessen, einen über alle Zweifel erhabenen Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zu verlangen, bevor Schritte unternommen werden, um die Bedrohung abzuwenden“.
Dieser ist ein Kommentar von Herrn Rainer Rupp zu dem besagten Artikel.
Das Problem, wer darf weiterleben, das haben wir doch jetzt schon in Italien und bald vieleicht auch in Deutschland!
Viele 80-Jährige (auch Jüngere) können wegen fehlender Beatmungsgeräte nicht versorgt werden! Sie werden gegen Schmerzen mit Morphin behandelt und auf den Bauch gelegt um überhaupt noch Luft zu bekommen bis es zu Ende ist!
Wir müssen feststellen, auch der HUMANISMUS kommt an seine Grenzen!
Ähnlich war es bislang auch in der Flüchtlingspolitik, Deutschland, die EU wir können leider nicht die Welt retten (deshalb wurden die EU-Grenzen geschlossen)!
Die Corona-Krise zeigt uns erneut unsere menschlichen Grenzen auf!
Wir werden um Entscheidungen nicht herumkommen! Sie werden uns letztlich aufgezwungen werden, ob wir wollen oder nicht!