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Interview im "Gedächtnis einer Stadt" - Gespräch mit Dr. Ottmar Seuffert

Eine Schatzkammer der Geschichte und vieler Lebensgeschichten:
Interview mit Dr. Ottmar Seuffert im Stadtarchiv Donauwörth

Als “Gedächtnis der Stadt” versteht sich das Stadtarchiv Donauwörth; Urkunden, Akten, Protokolle, Fotos, Landkarten, Pläne - Dokumente verschiedenster Art befinden sich dort, in der “städtischen Dienststelle für alle Fragen zur Stadtgeschichte “ Donauwörths.
Dr. Ottmar Seuffert leitet das Stadtarchiv beim Rathaus in der Neuen Kanzlei. Wolfgang Leitner hat mit ihm und seinem Team über dessen Aufgaben und Arbeitsalltag gesprochen.

WZ: “Worin bestehen die zentralen Aufgaben des Stadtarchivs, Herr Dr. Seuffert?”

Dr. Ottmar Seuffert [O. S.]: “Wir übernehmen, sammeln und bewahren Dokumente, werten sie aus. Das sind Unterlagen z. B. aus der Stadtverwaltung. Wir entscheiden, welche Dokumente relevant sind, archivwürdig. Die hier aufbewahrten Zeitzeugnisse sind unter Auflagen jedem zugänglich, der Datenschutz ist zu beachten, und jeder, der Einblicke sucht, verpflichtet sich, diesen einzuhalten. Auch darüber wachen wir.”

WZ: “Wie können solche Anfragen aussehen? Welche Beispiele fallen Ihnen da spontan ein?”

O. S. : “Das ist das sog. Kreuz- und Fahnengefecht gewesen. Da hat sich ein Professor aus Japan ins Stadtarchiv nach Donauwörth begeben, um konkret in Quellen zu diesem historischen Ereignis zu forschen. Er hat dazu auch ein Buch auf Japanisch verfasst, in dem ein Kapitel sich speziell mit diesem Fahnenstreit auseinandersetzt [Fahnenprozessionen 1606 und 1607].
Das müssen Sie sich vorstellen: Er spricht zwar sehr gut Deutsch, aber die historischen Quellen sind in der Sprache der frühen Neuzeit verfasst!”

WZ: “Europäische Geschichte mitten in Donauwörth: die ehemals freie Reichsstadt hat Geschichte mitgestaltet, wenngleich dieses Kapitel im Kontext der Religionskriege, der Reformation und Gegenreformation zweifellos deren Tragik widerspiegelt, Leid und Elend einer Zeit, in der religiöse und weltanschauliche Toleranz kaum als Standard angesehen wurde. Es ging eben zentral auch um Macht und Herrschaft.
Wie sieht es mit Zeitgeschichte und NS-Zeit aus?”

O. S.: “Da fällt mir das Beispiel einer Kanadierin ein, eine Frau, die sich eine Zeit lang in dem RAD-Lager aufhielt, das unmittelbar nach dem Krieg als Flüchtlingslager diente. Sie hatte es als Kind mit ihrer Mutter hierher verschlagen. Sehen Sie, hier wäre das Hotel Krebs, da die Donau. Dort war dieses Lager. Noch heute lädt mich diese Frau, die Zeitdokumente suchte, nach Kanada zu ihren Lesungen ein ... .”

WZ: “Auch ein dunkles Kapitel der Geschichte, das sich wohl auch in der Stadtgeschichte findet, z. B. die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Da gab es wohl auch Anfragen?”

O. S.: “Ja, natürlich müssen Nachweise von Betroffenen erbracht werden, und es gab zahlreiche Anfragen. Sehen Sie, das lief damals über das Arbeitsamt, das vor allem Fremdarbeiter aus Polen etwa an die Landwirtschaft hier vermittelte, aber auch an die Maschinenfabrik, heute Eurocopter, zuvor MBB, WMD. Bis zu 2000 Leute verschiedener Nationalität arbeiteten dort, Holländer, Griechen, Polen - im Kontext der Diskussion um Zwangsarbeiter gab es auch hier im Stadtarchiv viele Anfragen.”

WZ: “Hier im Stadtarchiv kann jemand mit einer Motivation, etwa einer Facharbeit für die Schule, einer Promotion etc. recherchieren, und Sie selber referieren auch immer wieder zu verschiedenen Themen: was steht heuer noch an?”

O. S.: “Während der Kulturtage Donauwörth werde ich zur Thematik “Hexenprozesse” einen Vortrag halten ... .”

WZ: “Wie kann man sich diese Zeit der Hexenprozesse konkret vorstellen? Wie sah da der Ablauf aus?”

O. S.: “Wenn jemand der Hexerei bezichtigt wurde, das konnte im übrigen jeder tun, dann wurde angeordnet, dass die “beschreyte Person” ins Gefängnis gebracht wurde. Dort gab es zwei Stufen der Befragung, zunächst ohne und dann unter Anwendung der Folter. Wenn jemand gestand - es gab auch Gefolterte, die nicht gestanden - dann wurde der Hinrichtungstermin bestimmt - ab 1608 geschah dies nicht mehr durch den Magistrat, sondern, da Donauwörth durch Bayern besetzt war, lief das über München, über Herzog Maximilian von Bayern, das entschied nach der Besetzung durch bayerische Truppen der Herzog.”

WZ: “Nicht die kirchliche Inquisition also führte diese Hexenprozesse in Donauwörth durch, sondern die weltliche Macht, der Herzog?”

O. S.: “Richtig. Das stand unter dem Vorzeichen der Gegenreformation in Donauwörth, denn bis 1607 war ja Donauwörth überwiegend protestantisch.”

WZ: “Dass es also zu einem Hexenprozess kam, dazu genügte der Vorwurf? Und die Verurteilung und Hinrichtung geschah dann wohl zwangsläufig nach der Folter?”

O. S.: “Es gab auch Beschuldigte, die n i c h t gestanden; das kam auch vor. Aber selbst dann - wer nicht hingerichtet wurde, musste die Stadt verlassen ... .”

WZ: “Von Glanz und Glorie, Aufstieg zur freien Reichsstadt, jäher Fall, Besetzung und Kriegswirren im Zeitalter der Reformation, hin zur Bürgergesellschaft, Wohlstand und Gedeihen, Zeit der Weltkriege, des Terrors im NS-Regime, Neubeginn im Nachkriegsdeutschland - Donauwörth im Wandel der Zeiten: so facettenreich die Geschichte der Stadt sich darstellt, so vielgestaltig und spannend, Herr Dr. Seuffert, zeigt sich uns Ihre Arbeit. Vielen Dank für dieses Gespräch!”

Foto 002: Dr. Ottmar Seuffert mit Deniz Landgraf und Fulya Ergin im “Gedächtnis der Stadt Donauwörth”, dem Stadtarchiv in der Neuen Kanzlei beim Rathaus. Alles andere als langweilig zeigen sich die Aufgaben dort, wenn Anfragen unterschiedlichster Art eingehen, denn prinzipiell kann jeder sich dort auf Spurensuche begeben. Bis ins 11. Jahrhundert zurück reichen die Archivalien.

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3 Kommentare

Dieses Gespräch gehört in die Interviewserie "Menschen einer Stadt". Wie alle Beiträge dieser Reihe ist auch dieser Artikel für die WochenZeitung Donauwörth vorgesehen und erscheint voraussichtlich in der nächsten Ausgabe Mittwoch, 07. Mai 2008.-

Vielleicht kann dieses Interview, für das ich Dr. Ottmar Seuffert und seinem Team an dieser Stelle danken möchte, aufzeigen, wie lohnenswert es sein kann, sich auf Spurensuche zu begeben - am besten dort, wo der Einzelne seine Heimatstadt sieht.

Donauwörth ist meine Geburts- und Heimatstadt, und das facettenreiche Bild, das im Lauf der Jahre entsteht und Vergangenheit wie Gegenwart wie in einem großen, vielschichtigen Panorama projeziert, ist durch dieses ausführliche Gespräch mit Dr. Seuffert und seinem Team um beeindruckende Aspekte gewachsen. -

Hallo Wolfgang

finde es gerade heute wichtig dass man über Menschen berichtet, die in unserem Heimatort herausragende Arbeit leisten. Dein Interview ist sehr aufschlussreich und zeigt auch auf, was hier an
Arbeit geleistet wird. Daher ein herzliches Dankeschön an dich, denn so sehen Menschen über die Stadtgrenze Donauwörths hinaus, was Menschen zu leisten vermögen.

Gruß Max

Danke, Max!
Ich persönlich sehe gerade heute eine Chance, dass wir auch in unseren Städten und Gemeinden im Hinblick auf unser soziales und kulturelles Leben aufbrechen können Richtung Zukunft.

In vielfacher Hinsicht schlummert ein enormes, kreatives Potential in den Kommunen, das bislang kaum genützt wird.

Auch unter diesen angedeuteten Aspekten kann natürlich dieses Interview gelesen werden, wenn wir uns fragen: wie erwächst denn eigentlich soziales Leben? Kultur bei uns?
Was macht dieses Leben reich?

Grüße aus dem sonnigen Donauwörth
Wolfgang

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