Der Glöckner von Notre Dame: Fulminante Premiere auf der Freilichtbühne am Mangoldfelsen
Der Glöckner von Notre Dame:
Fulminante Premiere auf der Freilichtbühne am Mangoldfelsen
Glanzvoller Auftakt der Theatersaison in Donauwörth
Mit großer Spannung, hohen Zielsetzungen und viel Sympathien ist dieser idyllisch-romantische Premierenabend am Mangoldfelsen erwartet worden: Enthusiastischer Applaus, eine stürmische Begrüßung der Schauspieler und ihres Regisseurs Wolfgang Schiffelholz auf der anschließenden Party und viel Lob belohnte das brillant spielende Ensemble des Theaters, das mit dem “Glöckner” ambitioniert höchste Ziele erreicht und unter allen zentralen Aspekten des Spiels und der Darstellung umfassend ein fasziniertes Publikum überzeugt hat.
Der Glöckner! Der 1831 erschienene Roman des französischen Autors Victor Hugo (1802 bis 1885) bildete die von Friedrich Schilha dramatisierte Vorlage des adaptierten Bühnenstücks (Gesamtleitung und Regie: Wolfgang Schiffelholz), zu dem Michael Zinsmeister eine beeindruckende, dem zwischen ausdrucksvoller Romantik und tragischem Realismus polarisiertem Drama kongeniale Musik komponierte.
Vielfach weist dieser Auftakt einer vielversprechenden Saison am Mangoldfelsen erfolgreich und souverän über die scheinbaren Grenzen des Laien- und Freilichtbühnenspiels hinaus: Fast 20 Meter wuchs sukzessive bereits Wochen vorher eine professionell selbst vom Theater gefertigte Kulisse der majestätischen Notre-Dame-Kathedrale, die im Mittelpunkt steht des facettenreichen, dynamisch-kraftvoll zu einer kulminierenden Tragik (eine gefahrvolle, naheliegende Pathetik im Stück wurde perfekt gemieden, ohne den zentralen Konflikten ihre innewohnende, emotionale Aura zu rauben).
Paris 1482 an Heilig-Drei-König: Mit der ersten Szene vor der Kathedrale setzt das Drama mit einer erzählend-begleitenden Rahmenhandlung ein, die fortan und bis zum Schluß durch den Dichter Pierre Gringoire (meisterlich von Jonathan Schädle gespielt) Nähe und Distanz zugleich dem Publikum vermittelt - Distanz, da der Dichter die dramatische Handlung durch seine Erläuterung ins Fiktive der Dichtung hebt, Nähe, da er das komplexe Geschehen erläutert und durch seine subjektive, bewusst egozentrische Sicht auch beschwichtigt.
Tja, Dichterschicksal: Gringoires “Moralität”, ein szenisches-philosophisches Spiel fällt beim umherstehenden Volke glatt durch, da viel zu langweilig. Daher treibt es kurzerhand seinen Schabernack mit dem Glöckner, dem buckeligen, tauben und häßlich entstellten Quasimodo (ein perfektes, in allen Nuancen gelungenes Spiel von Florian Lang, der im über zweistündigen Stück alle nicht geringen Untiefen spielend meistert). Grausam vergnügt sich das wenig einfühlsame Volk mit ihm, verspottet, hänselt und quält ihn. Verängstigt, aus seinem einsamen Asyl, seiner ihm Schutz vor den Menschen bietenden Erimitage von Notre Dame in die spottende Masse entführt, schmeichelt ihm auch, in den Mittelpunkt der zweifelhaften “Gunst” des Narrenspiels gelangt zu sein.
Kontrastierend zu Quasimodo, dem Häßlichen, dem Outlaw und Außenseiter, tritt Esmeralda auf, begleitet von Djali, einer Ziege, bezaubernd, anmutig (gespielt von Sandra Sewald, die kongenial neben Florian Lang als die “Schöne” perfekt in eine gleichfalls spannungsvolle, in sich auch widersprüchliche Rolle schlüpft).
Claude Frollo (Bernd Zoels), der Bischof und Domprobst, der sich des Glöckners angenommen und ihn zu dessen Aufgabe bestellt hat, verliebt sich sogleich in Esmeralda, die Zigeunerin, ähnlich, aber auch ganz anders als sein Zögling, der immer wieder selbstlos um die Schöne kämpft, sie schützt. Treu seinem Vormund, der ihn beauftragt, sie zu entführen und zu ihm in die Kathedrale zu bringen, misslingt ihm dies, wird durch den Schönling Hauptmann Phöbus verhaftet (Stephan Geist spielt souverän den egozentrischen, opportunistischen Höfling, einen unübertreffbaren Narzissten).
Spätestens als Esmeralda sich nun ihrerseits in Phöbus verliebt, wendet sich allmählich alles hin zu einem dramaturgisch geschickt, für das Publikum behutsam durch eine Schattenprojektion der erhängten Esmeralda vermittelten, tragischen Ende - nach dem Roman Hugos: der Galgen.
Die komplexe, vielschichtige Dramatik verläuft keineswegs linear auf diese Kulmination hin, die in der szenischen Umsetzung zwar dezidiert den Zuschauer auf seiner Zeitreise aus dem Spätmittelalter in die Gegenwart zurückholt, aber zugleich die gesamte Dynamik rundet und trotz des zu erahnenden Endes sanft ausgleiten lässt: Denn weitere Handlungsstränge lassen das musikalisch eindrucksvoll von Michael Zinsmeister illuminierte Drama einmünden in eine facettenreichen Welt, authentisch fingiert durch deren Schauspieler: etwa dem Bettlerkönig Clopin (Jürgen Melan), zu dem unser Dichter Gringoire gelangt, mit dem der König der Bettler, Diebe und Landstreicher seinen Spaß hat, ohne ernsthaft dessen Tod am Galgen zu beabsichtigen - wozu er ihn aber - kraft seines Amtes und seiner Autorität jedoch verurteilt, da er unerlaubt in sein Königreich, die Abgründe der Gassen und Straßen des mittelalterlichen Paris eingedrungen sei.
Was wäre das “dunkle” Spätmittelalter ohne die damals durchaus sehr fragwürdig Gerichtsbarkeit? Ohne Alchemie, die ganz dem Golde ergeben, durch Zauberei und einer guten Portion unerschütterlichen Aberglaubens mit geheimen Mitteln Reichtum, Macht, Dominanz ihren durchaus existenten Lustbarkeiten dieser Welt zu frönen suchte?
Das facetten- und detailreiche Bild dieses fremd und doch irgendwie vertraut anmutenden Mikrokosmos des dunklen Mittelalters wird gleichfalls eindrucksvoll und vielgestaltig durch Spiel und Darstellung aller Schauspieler projeziert: durch den debilen Richter Jacques Charmolue (Jürgen Lechner) oder Ludwig XI, l'araignée („die Spinne“), eine Parade-Rolle für Walter Walden, der in dieser Nebenrolle durch signifikantes Spiel prägnant den herrschsüchtigen, vorsichtigen und ziemlich egoistischen Monarchen darstellt.
Jene von Anfang an gegenwärtige, essentielle Balance zwischen Monumentalstück einerseits (das u. a. auch durch pyrotechnische Effekte, einem brennenden Angreifer) brilliert und authentisch Bühnentechnik einsetzt, und subtil in Stimmungen, in die Psychologien der einzelnen Haupt- und Nebenrollen eintauchenden Rollen-Stück wird bis zuletzt perfekt gewahrt. Dramaturgisch und durch eine exzellente Regie (Wolfgang Schiffelholz wurde durch Gabi Vit, die auch die tragische Klausnerin Gudule spielt) übertraf wohl der Glöckner noch die Musketiere des letzten Jahres.
Bühnenbild und -bau (Birgit Padrock und Bernadette Lang), Kostüme (Ingrid Müller), Maske (Gabriela Grundei), Requisiten (Ulli Sewald), Pyrotechnik: Bernd Zoels
Requisite: Ulli Sewald, Werner Vogel
Maske: Evi Tausch und Gabriela Grundei - ein r i e s i g e s Team (mit vielen weiteren, außer den genannten fleißigen Händen), das in Vorbereitung und Ausführung exzellent wirkte, diese wie auch alle weiteren Mitwirkenden ließen dieses fulminante Bühnenstück, das längst die Grenzen perfekten Laienspiels verlassen hat, zu einem unvergesslichen Erlebnis werden, eine en détail bis in die Nuancen harmonisch abgestimmte Gesamtkomposition, die zuletzt noch ein höchstes Attribut verdient: absolut sehenswert!
Nächste Aufführungen auf der Freilichtbühne am Mangoldfelsen:
27. Juni, je 20 Uhr 30, freie Platzwahl
Infos unter: www.freilichtbuehne-donauwoerth.de oder: Tel.: 0906/89 81
Foto] Der Glöckner von Notre Dame auf der Freilichtbühne am Mangoldfelsen: Die schöne Esmeralda (Sandra Sewald) im Büßergewand mit Claude Frollo (Bernd Zoels) ist des Mordes beschuldigt. Gelingt es dem Glöckner Quasimodo (Florian Lang), sie zu retten? Oder wird gar der König der Bettler (Jürgen Melan) mit seinen Getreuen helfen? Faszinierend und spannend bleibt das facettenreiche, eindrucksvolle Drama bis zur letzten Minute.
Es war immer für mich ein Erlebnis eine Freilichtbühnen zu besuchen.