"Heiße Ecke" Ein Reeperbahnbummel – frivol, fetzig, frech
Das Theater Donauwörth lässt sich mit dem Musical „Heiße Ecke“ auf ein Wagnis ein. Im Kiez tummeln sich allerlei halbseidene Typen und Damen des horizontalen Gewerbes. Ob dieses Wagnis gelungen ist?
Wer kennt nicht das Lied, das Hans Albers mit rauchiger Stimme vom Reeperbahnbummel in lauschiger Nacht auf Sankt Pauli singt. Weder der kalendarische Sommeranfang noch die „Abwärme“ der „Heißen Ecke“ konnten diesen Eindruck auf der Freilichtbühne am Mangoldfelsen bei der Premiere vermitteln, denn „’ne steife Brise“ zog gelegentlich durch das Zuschauerrund und ließ die Besucher in teilweise winterlicher Kleidung die Decken enger zusammenziehen. Den 52 Akteuren auf der Bühne gelang es mit ihren schauspielerischen Leistungen aber, eine heiße, mitreißende Inszenierung des „Dauerbrenner-Musicals“ aus dem Hamburger Tivoli nach Donauwörth zu transferieren. Ein Geheimtipp für den Besuch eines diesjährigen Freilufttheaters. 3000 Gäste haben schon gebucht.
Die Imbissbude „Heiße Ecke“, die auf spektakuläre Weise den Weg nach Donauwörth fand, bildete das Kernstück eines eindrucksvollen Bühnenbildes der Reeperbahn, über die „Ritze“ bis hinauf zur „Großen Freiheit“, vor der Vorsitzender und Regisseur Wolfgang Schiffelholz die Premierengäste begrüßte. Trotz des wichtigen WM-Fußballspiels blieben kaum Plätze leer. So freute sich OB Armin Neudert bei seiner Eröffnung über den Zuspruch der Besucher, würdigte das Engagement der Aktiven und hob die Jugendarbeit des Theaters anerkennend hervor.
Und dann hieß es: Leinen los und Lampen an für den Titelsong „Reeperbahn“, wo auf dem kühnen Pflaster sich jede Nacht ein neues Ziel bietet, aber immer und ganze 24 Stunden die „Heiße Ecke“ im Mittelpunkt. Die große Uhr über dem Bühnenbild verdeutlicht den Zuschauern im Stundentakt den Lauf des Tages, gelegentlich mit kleinen Überbrückungspausen, jedoch im gleichen Rhythmus und zur Gästeunterstützung, um „in der Zeit zu bleiben“. Das ist auch immer dann von Vorteil, wenn Akteure in andere Rollen schlüpfen wie beispielsweise Angelika Welti, die drei Personen verkörpert und in der Tanzgruppe mitwirkt. In unterschiedlichen Facetten ist diese Tanzgruppe in das Musicalgeschehen eingebunden – eine Bereicherung, für die Daniela Gerstmeier verantwortlich zeichnet.
Die Hauptakteure aber sind die Einzeldarsteller vor, in und um die „Heiße Ecke“. Kein Wunder, dass Günther Krumpendorf (Walter Walden) die Currywurst besonders gut schmeckt, wird er ja später als Schorsch zum Chef des Unternehmens. Sehr zum Leidwesen seiner gesundheitsbewussten Ehefrau Lotte (Martina Zinsinger), deren Wandel zum Genuss mit „Günther will noch eine Wurst“ gesanglich sehr gut unterstrichen wird. Den fast normalen Familientreff ergänzt Sohn Lars (Maximilian Ott), der nach der Liebesenttäuschung mit seiner Schulfreundin Lisa (Luisa Aumiller) diese dort trifft, sie mit dem einfühlsamen „Gib mir noch Zeit“ Verständnis einfordert und Lars zum fetzig-modernen „Chicks on Speed“ den Kontrast bildet.
Überhaupt interpretieren die Lieder des Musicals die Szenen sehr unterschiedlich. Die Pinneberger Junggesellen Pitter, Mickey und Frankie (Florian Lang, Christian Faul, Norbert Schröttle) finden als „Könige der Nacht“ schnell in die Tonlage und wissen nicht nur, was sie wollen, sondern wissen auch, wie man’s macht. Nur, dass beim Junggesellenabschied weniger Alkohol besser wäre, wird ihnen erst später teuer bewusst. Aber so ist das halt auf dem „Kiez“. Abenteuer um jeden Preis muss man sich eben leisten können. Kurti als Schnorrer (Jürgen Melan) muss dies erfahren, wenngleich er als Polizist Brummer diese Erfahrung haben müsste, oder Knud als Zocker (Florian Lang), der Wechselbäder zwischen Erfolg und Pleite nimmt, bis ihm die „Wechselstube“ Henning, alias Bernd Zoels, als Hehler den rechten Weg zeigt. Und dies, wenngleich er der gesanglichen Auffassung ist „St. Pauli sauge ihn aus“. Kein Wunder, dass er möglichst schnell weg will, aber „Morgen“ wird doch alles anders sein. Bedächtig sucht Zoels als betagter Mann mit seiner Frau Hilde (Angelika Welti) den Weg zum Café Engel, dem Treffpunkt ihrer ersten Dates, wobei er als Klappi Storch eigentlich wissen müsste, wo es in Donauwörth langgeht. Aber sie „schmachten“ halt auf Elvis Welle „Can’t Help Falling in Love“.
Es sind die örtlichen Aktualitäten, die immer wieder für Heiterkeit im Publikum sorgen. Manni, der Koberer (Jürgen Lechner), spielt dabei seine ganze Bühnenerfahrung aus. Das Fußballspiel gegen Schweden, dessen Sieg der Autokorso hupend verkündete, die Hamburger Fußballszene, die weltweiten Dirnenangebote inklusive Riedlingen und Wörnitzstein, verpackte er als Gags geschickt in seine Texte und erntete natürlich Sonderapplaus. Da er es vortrefflich verstand, Kundschaft für seine „Miezen“ anzuwerben, fand er auch deren Gunst.
Zwar ist St. Pauli im echten Leben nicht nur Reeperbahn und käufliche Liebe (dort leben über 20 000 Einwohner) aber die Bekanntheit wird nun mal von den Prostituierten geprägt. Und so verkörpern im Spiel die Damen des horizontalen Gewerbes (Magdalena Faußner, Margaretha Seuffert, Angelika Welti, Birgit Padrock, Jessica Becker) sehr lebendig und lüstern in freizügigem Aufzug und eindeutigen Posen diese Szene. Sie verwöhnten ihre Freier und machen sich dabei gleichzeitig Gedanken zur Bewältigung der Alltagsfragen, eben nach dem Grundsatz: Hauptsache die Kasse stimmt.
Klar, dass dabei derbe Witze, anzügliche Kommentare und nicht zweideutig um die Sache herumgesprochen wird. Der „Anmachechor“ der Prostituierten mit „Komm Baby“ steht dem in nichts nach. Sollte die Sache zu weit gehen und Pitter den Junggesellinnen (Magdalena Grimm, Josefine Wember, Claudia Radmiller), auch aus Pinneberg (!) zu nahe kommen, schaltet sich wachsam die „Heiße Ecke“ zur Wahrung der Sitte ein. Man ist also nie allein auf St. Pauli, nicht wenn ein Kind geboren wird, weder als verpönter Straßenmusikant noch als Gloria der Transvestit, (Alexander Ruth) oder im Tod, wenn Hannelore ihren geliebten Taxifahrer Klaus (Christan Blinne) nach kurzer Romanze verliert.
Keine oder keiner der Einzelakteure fällt aus dem Gesamtgefüge des Spiels, aber natürlich spielen sich einige mit ihrem Part in die Gunst der Zuschauer. Um die Servicekräfte der „Heißen Ecke“ Margot (Marion Sewald), Hannelore (Doris Weber) und Elke (Clarissa La Guasto) oder Fred (René Faußner) dreht sich die ganze Handlung. Mit deftigen Dialogen stehen sie wie „ihre Bude“ im Mittelpunkt, wobei Margot und Hannelores Gesangsbeiträge zusätzlich überzeugen.
Die Songs, teilweise chorisch untermalt, prägten die Musicalbeiträge eindrucksvoll, herausragend der „Engel von St. Pauli“ und toll wie durch die Lichttechnik vermeintliche Weihnachtsmarktstimmung inszeniert wurde. Raffiniert, wie die jungen Musicaldarsteller (Jessica Becker, Manuel Mathieu) den Mix aus Starlightexpress, Cats, Phantom der Oper und Mamma Mia in chorischer Begleitung präsentieren. Lars und Lisa, Mickey und Manu belegen, dass selbst auf dem Kiez Bande geknüpft werden können und wie die Zukunft aussieht, werden sie herausfinden, ein glänzender Schlussakkord.
Nach drei Stunden Aufführung (inclusive Pause) kehren die Zuschauer vom 24-stündigen Ausflug ins Rotlichtmilieu auf der sündigsten Meile vor den Toren Hamburgs zurück, aus einer wirklich „Heißen Ecke“, die sich manchem ganz anders präsentiert als vermutet. Hier unterstreichen Straßenkehrer, Müllmänner und Putzfrauen, dass es auch dort neben allerlei Typen ein ganz normales Leben gibt. Große Anerkennung allen Darstellerinnen und Darstellern, den zahlreichen Helferinnen und Helfern hinter den Kulissen und allen Verantwortlichen für das Wagnis, dieses Musical auf die Donauwörther Freilichtbühne zu bringen. Es ist großartig gelungen! Mit der Einladung zum Premierenabschluss verknüpften sicherlich die Theatergäste noch die Eindrücke von der „Reeperbahn nachts um halb eins …“ nur so richtig lauschig war’s dann nicht mehr.