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Die Biermösl Blosn, Kabarett und eine Lesung - 100 Jahre Stadtbibliothek Donauwörth

Mit der Biermösl Blosn und einer Lion-Feuchtwanger-Lesung durch Jörg Hube
Akrobatisch-brillanter Satire-Abend im ausverkauften Festsaal

"Ja wo san's denn, de ...

... lustign und de kreizfidelen Leit, und de Schneidign und de Räudign, und de Grantign und de Hantign, und de Willign und de Billign, und de Hitzign und de Witzign, und de Gschnippign und de Gschnappign, und de Talkerdn und de Dappign, und de Gscheidn und de Gspinnertn, und de Eiskoidn und de Brinnadn, und de Plattadn und de Gschopfadn, und de Schiagladn und de Kropfadn, und de Blitzsaubern und de Gschlampadn, und de ..."

Was? Sie verstehen kein echtes Boarisch? Zugegeben Bayerisch lesen ist eines, die Biermösl Blosn zu hören und zu erleben, ist - grandios!
Nach einem kurzen Grußwort des Oberbürgermeisters Armin Neudert zu diesem besonderen Festakt des 100. Geburtstags der Donauwörther Stadtbibliothek legten sie auch gleich richtig los: die Biermösl Blosn, die Brüder Hans, Michael und Christoph Well und Jörg Hube, der aus Lion Feuchtwangers Roman "Erfolg" eine rhetorisch fulminante Lesung gestaltete, musikalisch kongenial durch das renommierte Quartett unterstützt, das auf seine unnachahmliche, beeindruckende Weise immer wieder die historischen Inhalte des Romans, der im München Anfang der 20er Jahre spielt, kabarettistisch mit politischer und sozialer Gegenwart des realen Hier und Jetzt zu verknüpfen suchte - jedes Mal musikalisch und sprachlich präzise, mit charmanter Offenheit, direkt, kein Blatt vor dem Mund, oft burlesk, treffend, nicht selten sarkastisch, aber irgendwie immer durch ihre heftig offene Art liebenswert.

Ja, auch wenn einzelne Gäste des ausverkauften Festsaals im Tanzhaus vielleicht ihre Probleme im Allgemeinen mit bayerischen Dialekten haben mochten: es mag an dem unfehlbaren Sprachgefühl, an einer fantastischen musikalischen Interpretation liegen, dass selbst Besucher, nördlich des Mains geboren, einfach nur eines konnten - die genialen, akrobatisch anmutende Präsentationen und Sketche, Lieder und Stanzeln, die Schuhplattler und kabarettistischen Interpretationen des realpolitischen Bayerns zu bewundern.

Nein, diese derbe, ziemlich heftige Art wirkt eigentlich nicht abstoßend - zumindest die unmittelbar betroffenen Politiker ausgenommen, die vielleicht da weniger zu herzhaftem Lachen gefunden hätten - sie trifft stets in die Mitte, den Nerv, spricht an, weil wir vielleicht uns abgewöhnt haben, dass jemand unverblümt einfach nur das Wesentliche sagt - gerade im politischen Kontext, aber auch sonst.

Urkomisch und irgendwie die Stimmung des Publikums voll treffend ein Gregorianischer Choral, natürlich in "Filser-Latein", der die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise charakterisiert, kulminierend in einer spontanen Kollekte im Publikum, aus dem heraus ein Gast tatsächlich Geld in den an einer langen Stange gereichten Klingelbeutel steckt ("A Zehner"!).

Drastisch. Erleben wir aber nicht auch eine drastische Krise? Man mag den Rettungsschirm für Banken und strukturell relevante Finanzinstitute (Bayerische Landesbank, HypoReal-Estate) für notwendig halten - und wird über die spontane Interpretation der Biermösl Blosn wohl gerade deshalb nicht minder herzhaft lachen.

Stets visiert sie in die Mitte des Wesentlichen - und trifft. Das musikalische und kabarettistische Spektrum wirkt gesättigt, die Farben kraftvoll - die Biermösl Blosn präsentierte mehr als Kabarett: sie projizierte eigentlich - wenn nicht ein Lebensgefühl - so eine keck-wache, kritische, vielleicht zuweilen überzeichnende, aber darin immer wesenhaft richtige Grundhaltung, eine mutige, eine ethisch-soziale Haltung, die sich nicht nur etwas traut, sondern darin - so hat man das Gefühl - die Mitte der Wahrheit als unersetzliches Kriterium, als Maßstab jeglichen Ausdrucks immer achtend. Vielleicht erscheinen sie deshalb dem einen oder anderen zuweilen als unvergleichlich respektlos insbesondere politischer Autorität gegenüber.

Aber Respektlosigkeit? Nein, es ist die höchste Verpflichtung dem höchsten Wert gegenüber, den man auch immer spürt: Menschlichkeit. Und gerade dort, wo in unserer Gesellschaft diese unter die Räder zu geraten droht, dort findet die Blosn aus dem Biermoos klare, unmissverständliche Worte, scharfe Kritik, deren Schärfe aus eben dieser Klarheit unzweideutig erwächst.

Am Schluss der Lesung überreichte Evelyn Leippert-Kutzner jedem der Künstler eine weiße Rose, symbolisierend und akzentuierend, dass Feuchtwangers Gesellschaftsroman "Erfolg" eines der gelungensten Werke darstellt, das die nationalsozialistische Ideologie in ihren sozialen Wurzeln entlarvt, die menschenverachtende Grundhaltung demaskiert und dass eine Auseinandersetzung - wie an diesem Abend - im Sinne der Weißen Rose steht.

Sollte die Biermösl Blosn (abgeleitet von "Biermoos" - "Beerenmoor" als Teil des Haspelmoors zwischen München und Augsburg und "Blosn" - "Blase" sprich: Gruppe, Clique) nicht eigentlich "nur" den musikalischen Rahmen gestalten zu Jörg Hubes Lesung? Nein, niemand hat dies erwartet, und tatsächlich entfaltete sich dieser eindrucksvolle, immer wieder von brausendem Applaus akzentuierte Abend zwischen der brillanten Lesung von Lion Feuchtwangers "Erfolg" (1930) und den variierenden kabarettistischen Präsentationen der Blosn.

Lion Feuchtwanger, gebürtiger Münchner (1884 bis 1958, Los Angeles), zu Lebzeiten einer der bekanntesten deutschsprachigen Autoren, schrieb in den Jahren zwischen 1927 und 1930 seinen Gesellschaftsroman "Erfolg", eine ausdrucksvolle Projektion des historischen Bayerns und insbesondere Münchens, nach dem Ersten Weltkrieg und im zweiten Teil bis zum Hitler-Ludendorff-Putsch 1923.

Nicht nur durch "Rupert Kutzner" alias Adolf Hitler, Bertolt Brecht (Dichter Kaspar Pröckl), Karl Valentin (Baltasar Hierl) und etwa Ludwig Thoma (Dr. Matthai) agieren in Feuchtwangers Roman Figuren, die nachvollziehbar Persönlichkeiten der damaligen bayerischen Gesellschaft nachempfunden sind. Insgesamt lässt Jörg Hube durch eine perfekte Rezitation ein überragendes Zeit- und Gesellschaftsportrait entstehen, wie es ausdrucksvoller und nicht selten dramatischer kaum hätte gestaltet werden können. Einfühlsam und signifikant vergegenwärtigt sich so diese besondere Zeit der 20er Jahre in Bayern.

Ein akrobatisch-virtuoser Kabarettabend durch die Biermösl Blosn, eine brillante Lesung eindrucksvollster Rezitation durch Jörg Hube, ein unvergessliches Jubiläum der Donauwörther Stadtbibliothek für das zahlreiche Publikum mit brausendem Applaus am Schluss - wie könnte ein Festakt besser gelingen? Insgesamt ein fulminanter, unvergleichlicher Abend im Tanzhaus.-

Foto: Im Festsaal des Tanzhauses zum 100. Geburtstag der Stadtbibliothek Donauwörth: die Biermösl Blosn und Jörg Hube (rechts) verwandelten dieses außergewöhnliche Jubiläum zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Humoristisch, musikalisch-kabarettistisch, kommunikative Akrobatik, subtil und derb, brillant und auch bewusst klotzig, provokativ und herzhaft, immer Wesentliches charakterisierend mit unfehlbarer Treffsicherheit und genialem Sprachgefühl - natürlich Boarisch.

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2 Kommentare

Ein entsprechender Artikel ist für die WZ (Mittwoch, 06. Mai 2009) vorgesehen.-

Worin liegt der große Erfolg dieses Festabends? Zweifellos in der einfühlsamen, präzisen und ausdrucksstarken Rezitation Jörg Hubes einerseits und der Biermösl Blosn in Höchstform.-

Bayerische Dialekte - so eine kleine Anmerkung am Rande - sind wieder in und man hört sie wieder öfters. Anders als Anfang der 1980er Jahre - und früher - da es in wissenschaftlichen und Bildungskreisen eher verpönt war, muttersprachlich einfach bayerisch zu reden (oder überhaupt Dialekt zu sprechen), leben Dialekte zur Zeit wieder auf in der Öffentlichkeit.

Authentisch - so meine ich - wirkt dies allein, wenn die gesprochene Sprache des Künstlers tatsächlich essentieller Bestandteil seiner ethisch-sozialen Grundhaltung ist und nicht aus effekthaschenden, nur allzu opportunistischen Gründen gesucht wird.

Anders als bei der Biermösl Blosn gibt es - nach meiner Ansicht - auch eine breite folkloristische Strömung, die den Dialekt als Marketinginstrument gebraucht. Schade wie ich meine.-

100 Jahre Stadtbibliothek Donauwörth, ein wirklicher toller Bericht vom Wolfgang!
Ich wünsche der Stadtbibliothek und dem Berichterstatter weiterhin viel Erfolg.

Gruß vom Lützelburger Stephan.

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