Ansichten eines Gärtners I
Ansichten eines Gärtners I
Aphorismen zum Zeitgeschehen.
Prolog.
Als ich anfing, zu gärtnern, geschah dies ohne eine besonders idealistisch ausgeprägte Motivation - der Garten brauchte mich, und ich brauchte den Garten, so einfach war das.
Bereut habe ich es nie, konsequent Gärtnern zu meinem Hobby gemacht zu haben, denn es entsprach wohl meinem Temperament, meinen Neigungen zu alltäglich erfahr- und erlebbarer Ästhetik, jenes Verweilen-können, Ausruhen mit den Sinnen und dem Geist in einer lebendig-lebensvollen Umwelt, die als Pflanzenwelt eine unbeschreibliche Stille ausstrahlt, eine Stille, die in sich reinste Klarheit, Harmonie und Schönheit in vielfältigster Form immer und immer neu zum Ausdruck bringt.
Pflanzliches Leben - wer diese Idee erfühlen und erleben kann, dürfte eine zentrale Erfahrung - so wie ich - bereits erlebt haben, ja und immerfort neu genießen. Ruhe, die aus der Indifferenz und dem Fehlen jeglicher seelischer Bewegung erwächst, stumpft ab, tötet, da sie selbst Ausdruck erstorbenen Lebens ist; Stille, die wie eine gewaltige, bildgewordene Symphonie Dich umfängt, sobald Du Dich geöffnet hast - was von Mensch zu Mensch unterschiedlich lange dauern kann - das ist höchste Form der Geistigkeit in sinnlichster Ausdrucksweise, wobei eben jene Sinnlichkeit und Wahrnehmbarkeit wie eine Brücke ist, eine Brücke, die aus der beständigen, weil an s i c h aussagelosen Illusion der Wahrnehmung durch die Wirksamkeit des Ichs zu einer F ü l l e und O r d n u n g führt, die man wohl in alten Zeiten zuweilen als “Paradies” beschrieben hat.
Wandle ich auf dieser Brücke, die bei meinen Sinnen anhebt, meinem Hören, meinem Schauen, wenn ich den mannigfaltig und subtil nuancierten Duft frisch geschnittener Pfefferminze einatme, wenn ich mit nackten Füßen durch taubenetztes Gras schlendere, die Kraft meines Körpers wie auch die Erdanziehung in den Zehen, im Fuß, im Rist fühle, rhythmisch, wechselnd mit dem feuchten Kitzeln des zarten Grases, wenn ich den sanften Morgenwind um mich spüre, dann e r l e b e ich und schreite so die Brücke ab, die aus der Verlassenheit des Ichs zu jener Befindlichkeit führt, die die alten Griechen, Wahrheit erkennend, K o s m o s nannten, was auch ein Wort dafür ist, was wir heute im besten und schönsten Sinn unter einer dynamischen “Ordnung” verstehen, nicht jenes erkaltete, herz- und geistlose Regeln-machen aus stumpfsinniger und oft kurzsichtiger Konvention oder Notwendigkeit, nein, aus Erkenntnis der Natur.
Wer dieses zum ersten Mal bewusst erlebt, mag sich fragen, wie lange mag ich hier wohl bleiben dürfen, wie lange hält jenes Unsagbare an? Wann schwindet wieder, was so dezent und so subtil wie ein wunderschöner Traum mir erscheint? Kann ich denn nicht h i e r bleiben?
Hier, jenseits der Sinne, an dem Ufer, zu dem Sinnlichkeit weist, wenn Geist sein und der Sinne Wesen lebt und wirkt?
Wer sich so frägt, wie lange oder wie beständig dieses bezeichnete Erleben des Naturseins ist, denkt in eine Richtung, die die Natur s o nicht kennt. Alles Verweilen ist in der Natur nicht absolute Ruhe, und jene Stille erwächst aus einer sich sammelnden K r a f t, aus einer anwachsenden Harmonie, also selbst aus einer B e w e g u n g, nicht aus Unbeweglichkeit und Anhalten. Wer in dieser Weise im Naturdasein oder im Erleben der Natur “anhalten”, “stillstehen” oder “verharren” möchte, fällt zurück in ein einen Augenblick lang Leeres, das nicht bleibt, bis er wie ein schwirrender, irrender Falter irgendwo hin vom Wind geweht wird, etwas unangenehm berührt, dann gedrängt - das Naturerleben wieder verlassen möchte.
Warum? Natur kennt eine e i n z i g e Beständigkeit: die kraftvoll ihrem Wesen folgende Bewegung, die aus einer Fülle schöpft und diese wie in einem Augenblick in Gleichnissen ergießt, die wie funkelnde Wassertropfen im Sonnenlicht ihre Herrlichkeit buchstabieren.
Ja, Max - aber wohin führt der Gedanke: Wenn der Mensch nicht (mehr) in der Natur existiert - hm ... . Die Natur und ein Mensch, ich - so fängt eigentlich mein Denken an.
Das moderne naturwissenschaftliche Forschen hat ohnehin den Menschen aus der Betrachtung herausabstrahiert! Da ist ein Grundproblem. Denn allein der Mensch kann Natur verstehen: die Natur sieht sich selbst durch den erkennenden Menschen an!
Dies ist die höchste Maxime. Die Natur kann immerfort sich entfalten - auch ohne den Menschen: ok.
Aber sie kann eines ohne den Menschen nicht: sich selbst erkennen. Durch den Menschen steigt Natur aus sich heraus und gründet, so der Mensch dies will, etwas Neues in ihrer Mitte, was bis zum Menschen nicht existierte. Dieses Neue kann man - der Gewohnheit folgend - Kultur nennen, die Summe alles dessen, was menschlicher Geist begründet. Zu diesem gehört auch jene Erfindung des Menschen, die eigentlich erst langsam interessant zu werden beginnt: Menschlichkeit.
Bislang stand die Kultur oftmals als ärgster Feind der Natur gegenüber, denn überall, wo der Mensch sich niederließ, musste die Natur ersterben, weichen. Aber der Mensch beginnt jetzt auch, die Natur zu verstehen und sich selber zu verstehen, da er ein Teil der Natur ist, die über sich hinauswuchs und dennoch in ihr ist.
Dieses Paradoxon verstand der Mensch bislang nicht, und erst jetzt allmählich begreifen wir, dass wir allein dann Menschlichkeit dauerhaft begründen können in unserer Zivilisation, wenn wir einen geistgemäßen Einklang mit Natur erfinden.
Naturzerstörung und die Kriege der Menschen unter sich sind zwei Gesichter eines Janushauptes, die wir bis zum heutigen Tag selten so intim zusammenhängend gesehen haben: wie wir uns als kulturschaffende Menschen mit Natur versöhnen, so werden wir Wege friedlichen Zusammenlebens auch untereinander finden.