Eine Weihnachtsgeschichte
Vor vielen, wirklich vielen Jahren, hatte ich einen besonderen Weihnachtswunsch an meine drei Kinder. Ich bat sie um eine Weihnachtsgeschichte.
Meine Kinder waren damals 9, 17 und 19 Jahre alt.
Mit freundlicher Genehmigung darf ich heute, die Weihnachtsgeschichte meines damals 17 jährigen Sohnes veröffentlichen.
Mit dieser Weihnachtsgeschichte, möchte ich allen meinen Lesern ein gesegnetes, friedvolles Weihnachtsfest wünschen!
Heiligabend – Ein Fest der Liebe und grausamer Alltag.
1. Kapitel
Es war bitterkalt an diesem Abend des 22. Dezembers. Zwei Tage vor Weihnachten, die drei wahrscheinlich schönsten Tage für manch ein Kinderherz standen bevor.
Dass es schon wieder so weit war, bemerkte Anton nicht. Er hatte nur einen Gedanken im Kopf: Kälte.
Das kleine Feuer, das vor ihm brannte, war gerade groß genug, um seine von Gicht befallenen Finger vor dem Absterben zu bewahren. Sein Körper schrie nach Aufwärmung. Das Feuer, das er aus geklauten Zeitungen notdürftig entfachte, konnte nicht mehr lange brennen und Anton bereitete sich innerlich auf eine weitere sehr kalte Nacht im Gebüsch des Stadtparks vor. Geld für Schnaps hatte er schon lange nicht mehr. Denn gerade vor Weihnachten sind die Leute so sehr im Stress und mit sich selbst beschäftigt, dass sie Menschen wie Anton übersehen.
Morgen früh würde er sein Glück wieder versuchen und sich in die Fußgängerzone setzen und betteln. Gewöhnen würde er sich an das Leben nie. Auch nicht nach 3 Jahren.
Damals, als er seine Arbeit aufgeben musste wegen der Gicht konnte er die 2-Zimmerwohnung nicht mehr länger bezahlen. Jetzt wohnt er überall und doch nirgends. Er hat sich in dem Teufelskreis verfangen. Keine Wohnung – keine Arbeit, keine Arbeit – keine Wohnung. Dieses Leben war hart. Es bestand nur aus dem Versuch zu überleben, heftigen Diskriminierungen und gelegentlichen Schlägen von betrunkenen Jugendlichen. Er musste oft an sein früheres Leben denken. Wenn er die Zeitung morgens reingeholt hat und mit eiskalten nackten Füßen und einem Tablett mit Frühstück für 2 Personen in das genau 36 Grad warme Bett zu seiner darin noch schlafenden Freundin zurück geschlüpft ist und sie zärtlich mit seinen kalten Händen geweckt hatte, indem er ihr wunderbar warmes und schönes Gesicht berührte.
2. Kapitel
Er konnte es nicht fassen. Vor lauter Freude wäre er am liebsten zersprungen. Endlich nach 5 Jahren und unendlichen Versuchen hatte er den Jackpott geknackt. Peter Eichbaum war ein relativ erfolgreicher Geschäftsmann. Er hatte vor 2 Jahren ein Haus gebaut für seine wunderschöne Frau und seine zwei kleinen Kinder. Durch den Bau mussten sie den Gürtel etwas enger schnallen und sogar den BMW seiner Frau verkaufen. Es gab auch nicht mehr jeden Tag Fleisch, was sich natürlich auch positiv auf seine Figur auswirkte. Aber heute war ein wundervoller Tag. Ein Tag vor Heiligabend. Der Himmel war klar und es gab letzte Nacht 20 cm Neuschnee auf einen Schlag und zusätzlich warteten 5,2 Millionen Mark Gewinn auf der Bank auf ihn. Vor Freude ganz benommen als er die Heizung höher drehte, kam ihm eine geniale Idee. Er wird seiner Frau den BMW, den sie so geliebt hat, zurückkaufen – nur neuer und besser – und zwar noch heute. Zusätzlich wird er ihr den Lottoschein am Heiligen Abend auf den Teller legen, oder noch besser unter den Weihnachtsbaum, oder er benutzt ihn als Geschenkpapier für den Ring, den er ihr für 630,-- DM gekauft hatte. Man würde sehen. Nun musste er sich beeilen, seine Frau würde gleich nach Hause kommen. Sie war mit den Kleinen ins Kino gegangen. Er zog sich seinen Parka an und den warmen Wollschal, den seine Frau ihm zum Hochzeitstag im November gekauft hatte. Er fuhr durch die klirrende Kälte in die Stadt. Dort ging er zu Fuß zum Autohändler Meier, der sich auf die Marke BMW spezialisiert hat. Auf dem Weg lag auch die Bank. Als er die Bank betreten wollte, fiel sein Blick auf einen Obdachlosen im höheren Alter. Allerdings konnte er nicht bezeugen, dass er schon älter war. Wahrscheinlich hat ihn die Armut altern lassen und er wird noch jünger sein. Was soll’s. Als er beim Händler ankam, hatte er sich schnell für einen Wagen entschieden. Seine Frau hatte schon oft davor gestanden und verträumt geschaut. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen als er dem stutzigen Händler den Scheck über 300.000,-- DM überreichte und frech fragte : „Können Sie ihn als Geschenk verpacken ?“
So das wäre erledigt. Als er den die Bank wieder verließ, wäre er fast über den Penner gestolpert. Erst wollte er sich aufregen doch dann bekam er Mitleid. Er hatte schon immer ein weiches Gemüt gehabt. Er würde ihm ein wenig Kleingeld geben. Als er seinen Geldbeutel zückte, bekam der Obdachlose sofort große Augen. Peter schaute in das Geldfach, fand aber keinen Pfennig Kleingeld, sondern nur einen 20,-- DM Schein. Dann dachte er sich: was soll’s – über Geld brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen. Er gab dem Penner die 20,-- DM und fühlte sich gut als er schon mit ganz klammen Füßen nach Hause ging.
3. Kapitel
Anton verstand erst gar nicht, was passierte als er mit rasenden Kopfschmerzen vor der Bank saß. Er fühlte sich schon lange schlecht – zu schlecht. Als der Mann aus der Menschenmenge ihm plötzlich Papier entgegenwarf. Er wurde oft mit Müll beworfen. Erst viel später fiel ihm auf, dass da neben ihm 20,-- DM lagen. Kraft zur Freude hatte er nicht mehr. Alles war er zustande bringen konnte, war eine Träne. 20,-- DM – so viel Geld ! In den letzten 3 Jahren hatte er keinen Geldschein mehr in der Hand gehalten. Plötzlich fiel es ihm ein. Morgen ist Weihnachten. Er würde auch feiern. Anton raffte sich auf, dankte Gott und ging als erstes in den Supermarkt und kaufte sich eine Flasche Schnaps. Der erste Besitz nach 5 Monaten. Doch bevor er die herrlich heizende Flüssigkeit zu sich nehmen würde, wollte er was essen. Nicht das was sonst auf seinem Speiseplan stand. Nicht gefrorene Reste aus den Biotonnen fremder Leute. Er ging zum Bäcker und atmete tief den Geruch von frischem Brot ein. Er kaufte sich 2 Brötchen. Die restlichen 8,-- DM wollte er sparen. Als er dann auf seiner Lieblingsbank im Park saß, hatte er auf einmal keinen Hunger mehr. Ihm war sogar richtig übel. Endlich nahm er die Flasche, setzte an und begann mit einem Gefühl ähnlich der Freude zu trinken.
4. Kapitel
Peter fuhr erschrocken aus dem Bett. Er hatte schlecht geträumt. Das Weihnachtsfest am gestrigen Abend war wunderschön. Seine Frau konnte die Nachricht der Millionen ebenso wenig fassen, wie er. Das einzige was ihn störte, waren die ständigen Gedanken an den Penner, dem er gestern 20,-- DM gegeben hat. Er dachte, er hätte etwas gutes getan, doch dann schämte er sich. 20,-- DM – lächerlich ! Sein Entschluss stand fest. Er wollte den Penner kennen lernen, ihm eine Wohnung, eine Arbeit und Geld überlassen. Er wollte etwas gutes tun und seine Freude über den Gewinn mit jemandem teilen, der wirklich Geld braucht. Entschlossen stand er auf – er wollte ihn suchen – und zwar sofort. Als er sein Auto abgestellt hatte, befiel ihn eine Art Panik. Er wollte so schnell wie möglich in der Stadt die Suche aufnehmen. Es hatte über Nacht wieder geschneit und die Temperatur ist weiter gesunken. Er würde den Weg durch den Park nehmen, der war kürzer. Von weitem sah Peter, dass auf einer Bank ein lebensgroßer Schneemann errichtet war. Er musste schmunzeln. Als er daran vorbei ging, fiel ihm eine halbvolle Schnapsflasche auf. Er dachte sich: Welche Kinder trinken Schnaps beim Schneemann bauen? Er schaute genau hin und erkannte den Penner wieder. Total zugeschneit saß er hier mit einem nicht angebissenem Brötchen in der Hand.
Anton war tot.
(c) Andreas W. 1998
Danke Silvia und Heike, für Eure Kommentare.
Ja Jürgen, da stimme ich Dir voll und ganz zu! Wir müssen keine Millionäre sein, oder werden, um anderen helfen zu können.
Als ich vor kurzem meinen Sohn in Köln besuchte (er holte mich vom Bahnhof ab) und vom Bahnhof aus, direkt den Dom sah, kam natürlich sofort meine Kamera in Einsatz, sprach mich eine junge Frau an und fragte mich, warum denn immer fast alle Menschen den Dom fotografieren wollten? Ich war etwas irritiert über diese Frage, kam aber dadurch mit diesem jungen Menschen in ein sehr interresantes Gespräch. Sie war klug, konnte sich gut formulieren und war obdachlos. Sie erzählte aus ihrem Leben, wo sie sich frisch machen konnte und wo sie die Nächte verbrachte.
Als wir weiter mussten, bedankte sie sich mit den Worten
"Danke für die Zeit, die ihr euch für mich genommen habt. Und danke, dass ihr mich als ganz normalen Menschen wahr genommen habt"
Sie war so jung und ich musste, auch als ich wieder zu Hause war, ständig an sie denken.
Zufällig, bin ich dann kurz vor Weihnachten über diese Geschichte meines Sohnes auf dem Rechner "gestolpert" und so entstand eben dieser Beitrag.
Jemandem Zeit zu schenken, ist so einfach und kostet...nichts!
Danke, dass ihr Euch die Zeit genommen habt, "meine Geschichte" zu lesen, zu klicken und zu kommentieren!
Liebe Grüße Katalin.