Michael Kreitmeir: Angst ist kein guter Ratgeber
Little Smile ist ein Hilfsprojekt für singhalesische und tamilische Kinder in Not. Alljährlich unterstützen Friedbergs Stadträtin und Kulturpflegerin Petra Gerber und der Gastronom Ludwig Koller mit den Spenden der Besucher eines Benefizkonzerts im Biergarten der Landhausbräu Koller in Hergertswiesen dieses Projekt.
Die Corona-Pandemie hat durch präventive Schutzmaßnahmen im sozialen Umfeld auch diese Spendenaktion im Jahr 2020 verhindert. Das Corona-Virus hat auch Sri Lanka erreicht bringt zur ohnehin großen Not der Menschen dieser Region durch die COVID19-Symptome oft auf Grund fehlender finanzieller und technischer Grundlagen nicht therapierbare Fälle.
Fernsehjournalist und Regisseur Michael Kreitmeir hat das Kinderdorf Little Smile in Sri Lanka 1999 überwiegend mit eigenen Mitteln aufgebaut. In seiner Jahresbilanz beschreibt er beeindruckend die Zustände und die Folgen der Corona-Pandemie, welche das Land, die Region und auch das Kinderdorf Little Smile bedrohen.
Michael Kreitmeir: Angst ist kein guter Ratgeber
Corona – Sri Lanka – und das Kinderdorf Little Smile
Mitte Oktober 2020
Eigentlich ist Regenzeit, eigentlich, aber in diesem Jahr ist ALLES anders. Es ist trocken, so unglaublich trocken! Überall brennen die Hänge, fressen sich die Feuer in die Bergwälder, die letzten Quellen versiegen, Wasser wirde sogar hier in den Bergen Mangelware, das nur noch stundenweise aus der Leitung tropft, wenn überhaupt. Als es dann auch am Rande des Kinderdorfes brennt und wir den Notruf 119 wählen, kommt - Niemand. Brandstiftung ist nicht einmal mehr ein Kavaliersdelikt und auch daran ist dieser verdammte Virus schuld! Dabei hatte Sri Lanka schon sehr früh seine Grenzen dicht gemacht und es hat lange so ausgesehen, als würde dieser „Covid 19 Kelch“ an der kleinen Insel vorübergehen.
Schon Ende März ging am Flughafen nichts mehr, andere Einreisemöglichkeiten gibt es hier nicht, wer drin war kam nur noch mühevoll raus. Von draußen rein zu kommen war noch schwieriger und mit langen und sehr strikten Quarantänen verbunden, bewacht vom Militär.
April und Mai: Weniger als 100 Coronafälle, offiziell, trotzdem totaler Lock Down, die Schulen waren schon Ende März geschlossen worden, das öffentliche Leben in den Städten kam weitgehend zum Stillstand. Auch in unserem entlegenen Winkel gab es Polizeisperren, kontrollierte zudem das Militär, die Meisten trauten sich ohnehin nicht nach Draußen, zu unheimlich war dieser Virus, zu erschreckend die Bilder, die Geschichten, die sich von Smartphone zu Smartphone wie ein Feuer verbreiteten.
Das Tor zum Kinderdorf musste auf amtliche Anordnung geschlossen bleiben, was dann passierte und ob wir klar kommen mit mehr als 100 Kindern, völlig auf uns alleine gestellt, interessierte dann freilich bis Ende Juni Niemand. So lange dauerte es, bis sich die Offiziellen wieder aus ihren Verstecken trauten. Zwar hatten wir rechtzeitig vorgesorgt und genug Lebensmittel, die mit etwa 20 Hektar riesige Anlage bot Auslauf, Abwechslung und Betätigungsfelder, sodass kein Koller aufkam. Die Verantwortung lastete trotzdem schwer. Ein Jahr zuvor war die 5jährige Oschi, die wir mit einer harmlosen Erkrankung, nur zur Sicherheit, ins Krankenhaus gebracht hatten, fünf Tage später tot. So etwas steckt man nicht weg! Man hat erlebt und erlitten, wenn es drauf ankommt ist man allein und dieser verdammte Virus macht das noch schlimmer. Jeder Unfall, jede infizierte Wunde kann zum tödlichen Alptraum werden. Nur nicht krank werden, egal an was! Gut nur, dass wir uns aufgrund schlechter Erfahrungen mit dem „Gesundheitssystem“ vor Ort, inzwischen ein eigenes Behandlungszentrum aufgebaut hatten mit einer recht umfangreichen Apotheke. Anka Blank, seit 7 Jahren im Kinderdorf und inzwischen die rechte Hand von Michael Kreitmeir, hat sich nach und nach sehr viel beigebracht, aus der Not geboren.
Ende Juli dann, als einige der Beschränkungen etwas gelockert wurden, merkten wir, dass immer mehr Menschen aus den Großstädten aufs Land flüchteten. Monatelang waren sie zusammengepfercht in oft winzigen Wohnungen dort durch den Lock Down gefangen gewesen, nur noch raus, war da für Viele die Devise. Da es für Sri Lanka kaum noch Einnahmen in Devisen gab, war doch der Tourismus völlig und der Handel weitgehend zusammengebrochen, wurden Importe verboten, auch von Lebensmitteln. Selber Reis und Gemüse anbauen war die Devise und wenn der „unnützer“ Wald im Weg stand, weg damit! Die Wildtiere waren in ihren letzten Rückzugsgebieten bedroht, besonders auch hier in den Bergen und nicht wenige davon suchten Zuflucht, ausgerechnet in unserem bald viel zu kleinen Naturschutzgebiet neben dem Kinderdorf.
Aber Corona konnte nicht nur zündeln, ohne überhaupt da zu sein. Sri Lanka, das leuchtende Beispiel, wie man sich Corona vom Leib hält.
Ende August wurde teilweise Entwarnung gegeben, der Flughafen blieb trotzdem dicht, Importe verboten. Dafür wird nun jeder, der was anbauen wollte, unterstützt, Naturschutz hat da keinen Platz mehr. Die Reichen aus der Hauptstadt schwärmten aus, fanden ihren Weg bis in unsere entlegene Gegend, entdeckten den Reiz des Landlebens, frei von all den Coronaeinschränkungen und fingen an, Grundstücke zu kaufen, die Preise für Land schossen in astronomische Höhen, unerreichbar für die Menschen hier.
Und so kam der Oktober 2020
An die hohen Infektionszahlen in den USA und Indien hatte man sich bereits gewöhnt aber dann ging es in Europa wieder los. Gerade noch angedachte Lockerungen bei der Einreise wurden undenkbar, nur auf der Insel schien man noch sicher in dieser vom Virus beherrschten Welt.
Ein Paradies also, wie für den Tourismus so gerne propagiert?
Zwar hatten zahlreiche Zwangsmaßnahmen und enorme Geldsummen, die man sich aus China geliehen hatte, die schlimmsten Folgen abgefedert, verhungern musste auch in der Krise niemand, auch war die Rückzahlung von privaten Schulden ausgesetzt, der Zinssatz mehr als halbiert und monatlich Hilfsgelder verteilt worden, zum Leben zu wenig zwar aber halt auch zu viel zum Sterben, alles war von Oben geregelt und schien gut, zumindest auf den ersten Blick und für den Moment. Dass freilich die Aussetzung der privaten Schuldentilgung dazu geführt hatte, dass Viele, die seit Monaten keine Arbeit und kein Einkommen mehr hatten, weiter Schulden angehäuft hatten, wird ignoriert. Nicht nur die Kluft zwischen wenigen Vermögenden und einigen Superreichen und den Arbeitern hatte sich weiter vergrößert, es gab vielmehr eine klare Zweiklassengesellschaft auch zwischen den sogenannten normalen Leuten. Auf der einen Seite die Arbeiter und Selbständigen und auf der anderen die Glücklichen, die einen Job beim Staat hatten – und das sind in Sri Lanka gefühlt unglaublich Viele und geschätzt fast ein Viertel aller Arbeitenden. Diese Privilegierten bekamen ihr Geld weiter gezahlt, durften ins „homeoffice“, auch ohne Computer und Internet oder gleich daheimbleiben wie all die Lehrer, die 2020 nicht einmal 3 Wochen die Schule gesehen haben.
Und dann die Ernüchterung! Irgendwie hatte es der Virus doch geschafft und die Insel erreicht, vermutlich durch Fischer, die besonders im Norden die Gewässer und Fische mit vielen indischen Fischern teilen.
Ab Mitte Oktober wich der Stolz der Sieger der Gewissheit: Er ist da – und wie! In der Hauptstadt Colombo wurden etwas über 5000 Menschen getestet, fast 1000 waren infiziert. Wieder wurden Anka und ich krumm angeschaut, sobald wir uns außerhalb der Regionen bewegten, wo man uns kannte. Weiße haben Corona, sind gefährlich, so die weitverbreitete Meinung, Weiße bringen den Tod. Warum darf so Einer frei hier rumlaufen? Als ich einem Offiziellen erklärte, dass mein Heimatland dicht macht, wenn mehr als 50 Menschen infiziert sind und zwar auf 100.000, da erntete ich nur ungläubiges Kopfschütteln. Angst ist kein guter Ratgeber und Facebook ganz sicher keine brauchbare Informationsquelle.
Am 29. Oktober 2020 begrub nach heftigen Regenfällen eine Schlammlawine unser Nachbardorf. Die Überlebenden durften nicht zurück, Gestrüpp und Unkraut überwuchert das, was übrig geblieben ist. Man vergisst hier schnell, nur ein paar Menschen haben sich 5 Jahre später am Rand des Hanges zusammengefunden um der Toten zu gedenken. Die Leute haben andere Sorgen. Es geht darum, wie man heute klarkommt, wie man die nächste Mahlzeit sichert, Morgen ist Morgen und weit weg, so wie dieser Virus. Zwar tragen Viele selbst in unserer Region Masken, oft seit Wochen nicht gewaschen oder gewechselt, weil es sonst empfindliche Strafen hagelt, aber die Alltagssorgen sind näher, stärker, zumindest noch.
Anfang November dann kommt er, der große Regen und mit ihm all die Krankheiten, Bakterien, Viren, Erkältungen, Husten, Fieber. Wenn es jetzt losgehen sollte mit dem Sterben und man das dann nicht mehr auf das obligatorische Nierenversagen schieben kann, dann kann es ganz schnell ganz anders werden. Gerüchte sind leicht in die Welt gesetzt, besonders im Internetzeitalter.
In der zweiten Novemberwoche erklärt die Regierung überraschend das Ende alle Beschränkungen. Erschreckend die Begründung: Da die Menschen dem Regeln nicht folgen würden, sei nun jeder für sich, sein Handeln und die Folgen für seine Mitmenschen verantwortlich. Längst glaubt Niemand mehr die offiziellen Zahlen.
Eine Woche später dann eine zumindest teilweise Kehrtwende. Die besonders von Coviderkrankungen betroffene Westprovinz mit der Hauptstadt Colombo wird mit einem völligen Reiseverbot belegt, Niemand darf die Provinz verlassen. Was wird die zweite Hälfte des Novembers bringen, was der Dezember dieses so verflixten Jahres? Gut, dass auch mir das Grübeln über das, was vielleicht Morgen sein könnte, in 21 Jahren Sri Lanka völlig abhandengekommen ist. Viel dringlicher für mich ist derzeit ein auf Eiter sitzender Backenzahn, der sich weder mit Schmerzmitteln noch mit Naturmedizin besänftigen lässt. Zum Zahnarzt gehen? Es gibt derzeit keine, die sind alle irgendwo in Sicherheit. Bleibt nur aushalten und Zähne zusammenbeißen halt, wie so oft und hoffen, dass es sich schon irgendwie selber richten wird.
Aber, es gibt auch gute Nachrichten! Irgendwie haben wir es geschafft und auch in diesem verflixten Jahr Pfeffer geerntet, verarbeitet und nach Deutschland bringen lassen, unser Gruß aus einer inzwischen wieder fernen, fast unerreichbaren Welt in die alte Heimat Bayern. Es gibt uns noch, hier im Bergurwald Sri Lankas. Ich bin müde, sehr müde und doch dankbar dafür, dass wir alle gesund und heil durch diese schwierige Zeit gekommen sind. Wie verletzlich wir alle sind, wie schnell auch die durchdachtesten Pläne nichts mehr wert sind, Corona hat es uns gezeigt. In Deutschland will man das Weihnachtsfest retten, ein softer Lock Down soll’s richten.
Weihnachten 2020
Ich denke, auch das wird ganz anders werden, zumindest äußerlich. Aber wie heißt es so schön: Das Wesentlich sieht das Herz allein!
Ich wünsche uns hier und Allen in der alten Heimat, dass wir gesund bleiben und solidarisch durch diese nicht einfachen Zeiten gehen. Hier in Little Smile werden ich jeden Tag, also auch an Weihnachten versuchen, das Beste aus jedem Moment zu machen, keine Angst zu haben, Niemals aufzugeben und dankbar zu sein, gerade auch für all die Menschen, die uns gerade auch in diesen schwierigen Zeiten das Gefühl geben: Ihr seid nicht allein.
Danke und Frohe Weihnachten!
Information:
Projekt Little Smile im Internet
Ein beeindruckender Beitrag, da wird man irgendwie ganz klein und so manche eigene Schwierigkeit so nichtig.
Danke für diesen Beitrag, der mich sehr um Nachdenken gebracht hat und ich finde es toll, dass es solche Menschen gibt, die helfen.
Grüße aus Erfurt.