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Mit Schlagern und Rock auf Stimmenfang

  • Hauptdarstellerin Noah Sow in ihrem zum Nachdenken anregenden Noiseaux-Video-Clip " Nodemocracy" zur vergangenen Bundestagswahl 2013.
  • Foto: Foto: Noiseaux 2013 (frei)
  • hochgeladen von Ulrich Grunert

Der Wahlkampf zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September ist zwar schon einige Zeit vorbei. Aber die Koalitionsverhandlungen sind immer noch entfernt von der anvisierten Zielgeraden. Anders als beim jüngsten Präsidentschaftswahlkampf in den USA spielten die Größen der deutschen Musikszene nur eine marginale Rolle im Stimmen-Kampf der Parteien. In den USA hat die Parteinahme der Popstars dagegen eine lange Tradition. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 wurden sowohl Barack Obama als auch Herausforderer Mitt Romney von den Größen der Film- und Musikbranche unterstützt. So lud George Clooney in seine Hollywood-Villa zum Fundraising-Essen ein, um Spenden für Obama zu sammeln. Bruce Springsteen, Madonna, Lady Gaga, Katy Perry, James Taylor, die Foo Fighters und Steve Wonder sangen für Obamas Wiederwahl, während Kidd Rock, Gene Simmons und Ted Nugent für den Herausforderer Mitt Romney Reklame machten. Stars spielen im USA-Wahlkampf seit Jahrzehnten eine große Rolle. Bereits Frank Sinatra engagierte sich in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für Roosevelt. Sinatra trat später auch im Präsidentschaftswahlkampf für John F. Kennedy auf, engagierte sich für die Bürgerrechts-Bewegung von Martin Luther King.
In Westdeutschland gab es im Bundestagswahlkampf 1965 eine erste zarte Liaison zwischen Pop und Poltitik. Die SPD brachte als erste Partei US-amerikanische PR-Methoden ins Spiel, bestellte für den Wahlkampf einen bunten Mix aus Schlagern und Beat, zu "branchenüblichen Gagen, nicht zu Freundschaftspreisen", wie der Berliner SPD-Landesverband damals betonte.
Zum Wahl-Auftakt traten in Dortmund gefeierte Schlagerimporte wie Jacqueline Boyer und Sascha Distel auf. Die Pariserin mit den grünen Katzenaugen hatte mit einem Chanson den Eurovision Song Contest gewonnen, sang in unnachahmlichem Akzent im Wahlkampf das Lied von der Liebe unter blühenden Kirschbäumen: "Mitsou, Mitsou, Mitsou, was sagst denn du dazu. Ich weiß was für uns beide, das wär so schön Mitsou" gefiel den SPD-Wahlkämpfern ganz besonders. Noch konkreter agierte ihr Sänger-Kollege Sascha Distel, der mit seinem Radiohit "Deine Stimme am Telefon" bei der weiblichen Wählerschaft Stimmen einfangen sollte. Neben der schwedischen Sängerin Bibi Johns, dem Jazz-Trompeter Roy Etzel und dem Rock & Roll-Urgestein Werner Hass rockten auch die Hamburger Rattles, als "deutsche Beatles" für die SPD. "Musikalisches Feuerwerk und zehn Minuten Politik mit Senator Helmut Schmidt" hieß eine Wahlkampf-Schau, auf der neben den Rattles auch Alfred Hause und das Hamburger Studio-Orchester, das Medium-Terzett und der singende Jazz-Trompeter Billy Mo auftraten. Die SPD betrieb Rundumversorgung: Von Schlager, Chanson über Jazz bis hin zur angesagten Beat-Musik war für jede Altersgruppe etwas dabei. Einer Wahlwerbung mit Musik konnte sich nun auch die CDU nicht verschließen. Sie setzte aber nicht auf Jazz und Schlager sondern auf Marschmusik. Der SPIEGEL zitierte damals den CDU-Werbeleiter Arthur Rathke mit den Worten: "Wir halten nichts von der Tingeltangelisierung des Wahlkampfes." Die Partei bestellte bei m Musikverleger Bertram Otto den "Ludwig-Erhard-Marsch", der zum Blaskapellen-Klang mit folgendem Refrain aufwartete: " Ja, ja, wir sind in all den Jahren mit Ludwig Erhards CDU doch wirklich alle gut gefahren...“
In den Single-Charts dominierten damals die Beatles, Rainbows, Drafi Deutscher und Casey Jones. Da war der Erhard-Marsch beim jugendlichen Publikum von vornherein chancenlos.
Und wie sieht es heute in Deutschlands aus? Akteure der Schlager - und Pop-Fraktion übten sich in ihrer Parteinahme im Wahlkampf 2013 mehrheitlich in vornehmer Zurückhaltung. Roland Kaiser, Sänger mit SPD-Parteiausweis, bekannte zwar: "Ich bin zu alt, um noch in die Politik einzusteigen. Aber wenn man mich bittet, für Peer Steinbrück Wahlkampf machen, dann bin ich dabei." Ob Kaisers mit Evergreens wie "Sieben Fässer Wein" Steinbrück helfen kann, bleibt abzuwarten.
Die Toten Hosen stehen dem Einsatz ihrer Songs im Wahlkampf kritisch gegenüber. Sie schrieben auf ihrer Webseite in einem offenen Brief, sie empfinden es als "unanständig und unkorrekt", wenn Musik von ihnen im Wahlkampf eingesetzt wird, da die Menschen glauben könnten, dass eine Verbindung zwischen der Musik und Inhalten der Parteien bestehe. Auch die deutsche Musikerin und Produzentin Noah Sow übt einen kritischen Blick auf das Wahlkampfspektakel. Im Rahmen ihres Musik-Projektes Noiseaux ein Musikvideo produziert, das Manager und Politiker in eine Hüpfburg verfrachtet, während die Sängerin selbst im Parlament Ansagen macht. Sie reflektiert damit ihre Beobachtungen, dass das jugendliche Publikum frustriert über das Angebot der Parteien reagiert. Im Gespräch analysiert Noah Sow die Ursachen: „Es ist für sehr viele Wahlberechtigte enorm schwer, sich zum Wählen zu motivieren. Schuld daran sind die Parteien und Bundespolitikerinnen selbst. Wahlverdrossenheit ist nicht mit Vorwürfen zu lösen. Ich sage: Lasst euch nicht unter Druck setzen. Alle wollen was von dir. Deine Stimme nämlich, oder zumindest Beteiligung, und haben keine Hemmungen, Druck auszuüben, damit sie das bekommen, was sie wollen. Aber was Parteipolitik zu geben und zu helfen und zu verstehen bereit ist, damit hält sie sich doch in bestimmten Themen sehr bedeckt. So lange das noch so ist, finde ich den Druck ungerechtfertigt. Warum sollen Parteien jahrelang die drängendsten Lebensprobleme ignorieren können und dafür haufenweise Stimmen bekommen? Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland hat die Parteien befragt, was sie konkret gegen Rassismus und Diskriminierung unternehmen wollen. Daraus wird bis zur Wahl eine Online-Übersicht zusammengestellt. Die warte ich auf jeden Fall ab.” Mittlerweile ist die Wahl Geschichte. Aber der Noiseaux-Video-Clip "Nodemocracy" ist nach wie vor eine Augenweide. Und gibt weiterhin Anlass für Diskussionen.

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