Erfolgsgeschichten aus Bremen? Neu erschienenes Buch über Zivilklausel, Frontex, Dual Use, Rüstungsindustrie und Rüstungsforschung
BREMEN. Ursprünglich sollte es "nur" eine Broschüre werden, aber nun hat sich der Sammelband zum Thema Rüstungsstandort Bremen zu einem richtigen 176-Seiten-Reader gemausert. Das Buch kommt gerade rechtzeitig, um für die zur Zeit heftig geführte bundesweite Diskussion um die Zivilklausel und die überaus problematische Einflussnahme von Bremer Rüstungsunternehmen (unter anderem OHB und Rheinmetall) auf Lehre und Forschung an der Bremer Universität und der Hochschule Bremen Informationen und Argumente zu liefern. Beleuchtet wird auch, welch unheilvolle Rolle die Bremer Raumfahrt- und Rüstungsfirma OHB mit ihrem Satellitenprogramm bei der europäischen Flüchtlingsabwehr FRONTEX spielt. Dieses nicht nur für "Insider" aufschlussreiche Werk ist ausdrücklich nicht auf das kleinste Bundesland begrenzt, sondern auch für Leser im gesamten Bundesgebiet interessant.
"Auch in Bremen wird der Krieg vorbereitet und das Töten perfektioniert", schreibt Pastor Martin Warnecke, Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche, in seinem Grußwort. "Ungezählte Menschen haben durch in Bremen hergestellte Produkte ihr Leben verloren."
Die Hansestadt sei eine Rüstungshochburg und im bundesweiten Vergleich im Rüstungsbereich überproportional vertreten, diese Ansicht vertreten die Autoren der neuen Veröffentlichung "Rüstungsstandort an der Weser". Von bundesweit 80000 Arbeitsplätzen in der Rüstungsproduktion fielen derzeit mindestens 4000 auf Bremen; von insgesamt 16 Milliarden Euro Rüstungsproduktionswert (2010) kämen mindestens 1,15 Milliarden aus Bremen. Das sind gute sieben Prozent der gesamten deutschen Rüstungsproduktion - während in der Stadt Bremen nur 0,7 Prozent der Bevölkerung lebt. Und während die Rüstungsproduktion bundesweit 0,64 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, sind es hier 4,8 Prozent.
"Die Rüstungsdichte ist hier sieben Mal höher als im Bundesschnitt", schreibt Lühr Henken vom Bundesausschuss Friedensratschlag in seinem Beitrag und nimmt die Rüstungsbetriebe Atlas Elektronik, Rheinmetall Defence Electronics, EADS Airbus, die Friedrich Lürssen Werft und die OHB AG unter die Lupe. Henken ist einer von 16 Autoren, die in dem Buch Beiträge zu den Themen Rüstungsproduktion, Rüstungsforschung und Zivilklausel verfasst haben und sich mit der Rolle Bremens im internationalen Kriegswaffen-Geschäft beschäftigen.
"Wir wollen mit dem Buch ausdrücken, dass in Bremen Dinge produziert werden, die nicht dem Frieden dienen", erklärte der verantwortliche Herausgeber Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum bei der Vorstellung der neuen Publikation in der Hansestadt. Und Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bremischen Bürgerschaft, kündigte eine weitere Vernetzung ihrer Partei mit den Friedensorganisationen an. "Wir wollen Druck machen, damit der Senat sich zur Universität und zur Rüstung positionieren muss. Es gibt Bestrebungen, die Zivilklausel der Uni aufzuweichen." Durch die Finanzierung der Forschung durch Rüstungsunternehmen mache sich der Senat politisch erpressbar. Vogt kündigte weitere parlamentarische Anfragen an, um weiter aufzuklären, in welchem Umfang bremische Steuergelder in Rüstungsprojekte fließen.
Kritisch betrachten die Autoren die staatliche Förderung entsprechender Betriebe: Das Wirtschaftsressort fördert beispielsweise das Cluster Maritime Sicherheit (MARISSA), in dem der Kampfpanzerfeuerleitanlagen- und Drohnenhersteller Rheinmetall und die Hochschule zur "Ressourcensicherung" forschen. So koordiniert und finanziert die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) aus Steuergeldern den Kompetenz- und Forschungsverbund "Competitive Aerial Robot Technologies (CART)", an dem unter anderem Rheinmetall Defence beteiligt ist. Ziel der Forschung: die Optimierung unbemannter Drohnen, die in den Kriegen der Neuzeit eine zunehmende Bedeutung erhalten.
"Rüstungskonversion" – die Umstellung von militärischer auf zivile Produktion – einst war das ein großes Thema in Bremen. "Bis 2001 gab es sogar einen Konversionsbeauftragten – mittlerweile scheint sich aber kaum noch jemand an Bremens Beteiligung an der Produktion von Kriegsgerät zu stören", kritisierte Mit-Herausgeberin Andrea Kolling von der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung. Sören Böhrnsen vom Asta der Universität rief zur Verteidigung der Zivilklausel auf: "Die Bremer Uni ist die am stärksten drittmittelfinanzierte Hochschule Deutschlands. Wir wollen, dass die militärischen Kooperationsprojekte umgewidmet werden." Letztlich verstoße der Rüstungsstandort Bremen gegen die Bremische Landesverfassung, denn in Artikel 65 finde sich dort ein Bekenntnis zu Frieden und Völkerverständigung. "Beides lässt sich nicht mit Waffen erreichen", sagte Hartmut Drewes vom Bremer Friedensforum bei der Vorstellung des Buches.
Das Buch ist beim Bremer Friedensforum in der Villa Ichon, Goetheplatz 4, 28203 Bremen, beim AStA der Uni Bremen und in den Büros der Linken, in Buchhandlungen oder über Eva Böller/Ernst Busche, Telefon 0421/355816, und Hartmut Drewes, Telefon 0421/6441470, zu beziehen. Bei Bestellung per E-Mail: info@bremerfriedensforum.de oder durch Einzahlung einer Schutzgebühr von 6 EUR (+ 1 EUR Porto) auf das Konto: Ekkehard Lentz, Postbank Hannover, Konto-Nr. 123268306, BLZ 25010030 (Stichwort Rüstungsbroschüre) wird das Buch direkt zugesandt.
Weitere Informationen: www.bremerfriedensforum.de
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