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Herzog Carl - Glück mit Glas
Das Ringen der braunschweigischen Glasmacher-Gilde um ihr Vertriebs-Monopol

Historisch war Glasmacher die Sammelbezeichnung (der Oberbegriff) für verschiedene an der Fabrikation beteiligte Spezialisten. Vor der Epoche der industriellen Glasproduktion, also vor dem 19. Jahrhundert, wurde Glas in Wanderglashütten produziert. Spätestens alle 10–20 Jahre musste eine mit Holzkohle befeuerte Waldglashütte ihren Standort wechseln, weil dann die für die Befeuerung des Schmelzofens nötigen Waldbäume sowie die für die Reduktion des Schmelzbereiches nötigen Buchen in weitem Umkreis gerodet waren. Die Hütten wurden von einem privaten Unternehmer geführt. Dieser Glasmeister holte sich vom Grundherrn, oder später auch Landesregenten, die Erlaubnis (Konzession) für den befristeten Hüttenbetrieb an einem Standort, stellte die Beschäftigten ein, hütete als Betriebsgeheimnisse die Herstellungsverfahren und vermarktete die Produktion. Zum Hüttenbetrieb gehörten 40–60 Personen, die meistens miteinander eng verwandt und verschwägert waren und untereinander heirateten, das heißt ihre Partner in anderen Glasmacher-Sippen suchten. Zur Hütte gehörten ferner auch Holzfäller, Schürer, Hirte, Wirker, Anfänger (Kaier), Kölbelmacher, Einbläser, Meister und Einträger.
Eine Besonderheit der Verträge mit den Grundherren und Eigentümern der Glashütte waren die unbegrenzte Inanspruchnahme von Bier (!) als Getränk, da aufgrund der hohen Temperaturen und der anstrengenden Tätigkeit der Flüssigkeits- und Mineralien-Verlust besonders hoch waren. Auch die Lieferungen von Glaswaren für die Hofhaltung in Wolfenbüttel beispielsweise wurden bereits im 16. Jahrhundert vertraglich zwischen Herzog und Hüttenbetreiber geregelt und verrechnet. Hinsichtlich der Vermarktung ihrer Erzeugnisse waren die fürstlich-privilegierten Glasmacher stets bemüht möglichst eine Monopolstellung zu erhalten:
Supplikation (Bittschrift, Gesuch) der Gilde der Glasmacher vom 18. 07. 1737 an Herzog Karl I. (zeitgenössisch: „Carl“):
Dass sie gemäß dem 1644 von Herzog August dem jüngeren erlassenen Gildebrief Artikel 18: „zugleich bey unserer Profession mit Bouteillen zu handeln berechtiget“ und in diesen Rechten geschützt seien. Die enorme Anzahl und Verbreitung der Konsumentenfunde von hoheitlichen Flaschensiegeln mit der persönlichen Devise „REMIGIO ALTISSIMI“ (Nach dem Willen des Allerhöchsten) für Herzog Rudolf August (Allein-Regent des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel von 1666-85) lassen hinsichtlich der ehemals großvolumigen Flaschen einen echten „Exportschlager“ vermuten. Selbst im benachbarten „Ausland“ fanden diese Flaschen nachweislich großen Absatz und worden dort „verbraucht“. Noch in großer Zahl erhaltene historische Ofenplatten aus den Harzer Eisen-Hütten sprechen nicht nur für die Beliebtheit der einstigen Öfen, sie zeigen ebenfalls absolut identische Embleme und Umschriften. So auch bei Münzen des Herzogtums; dort wird der spätere Mitregent Anton Ulrich nach 1685 mit dem Zusatz „UNI“ in die Devise einbezogen (Foto Münze von 1696). Auch die Punzen (hier „Kontrollzeichen“) von Messingwaren waren gleichermaßen hoheitlich gestaltet und seitens der Obrigkeit befohlen.
Die zitierte Berechtigung der Gilde basiert auf der noch älteren von Herzog Heinrich Julius von 1595, dass:
„Gläser, Trinkgeschier und Gefäße mit begriffen sein“, nachdem zuvor zugesichert wurde, niemand außerhalb der Gilde dürfe mit Glaswaren handeln („keine andere Handthierung treibet, in diesem Fürstenthum damit zu handeln gemeint“).
Die obigen Zitate lassen erahnen, dass offenbar vermehrt auch sogenanntes „fremdes“ Glas im Herzogtum gehandelt wurde; eine ärgerliche Konkurrenz-Situation für die Glasmacher, denen dadurch nicht nur der Verlust der Exklusivität drohte. Allerdings kann man hinsichtlich solcher Vorgänge besonders in der Folgezeit von einer gewissen Doppelmoral sprechen, denn man war durchaus stets nicht abgeneigt Auslands-Bestellungen zu fertigen! Zitate aus einem Bericht des Revisors Georg Christoph Seebaß der Schorborner Hütte (siehe unten) um 1781 beschreiben diese Praxis eindeutig:
„Es sind auch nur einerley Formen bei der grünen Hütte (Bereits 1775 wurde die Grünglasproduktion aufgrund Holzmangels in Schorborn in das nur 2,9 Kilometer südöstlich gelegene Pilgrim bei Heinade verlegt!) in Gebrauch, und wenn ja eine Bestellung aus dem hildesheimischen eingeht, so werden die Bouteillen in die ordinäre braunschweiger Form geblasen, und nur anders eingestochen… Die Bier Bouteillen werden aus freier Hand und bloß nach dem Augenmaß gemacht, und ich überreiche hierbey zu hoher und gnädigst gefälliger Untersuchung eine Kannen Bier Bouteille (etwa 1,8 Liter).“
Offensichtlich war der Revisions-Bericht als eine Art Bestandsaufnahme zur Situation in Schorborn vom neuen Regenten im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel Karl Wilhelm Ferdinand (Sohn Karls I., reg. 1780-1806) angefordert worden, der jedoch keine Ambitionen zu radikalen Eingriffen in das Glaswesen zeigte und erst am 11. September 1806 (kurz vor seinem Tod) für die braunschweigischen Weinbouteillen das neue Hüttenkürzel SH anordnete (spätere Kennzeichnungen auch präziser: „Schorb Hütte“). Die „Auslands-Einkünfte“ der fürstlich-braunschweigischen Glashütten waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts bereits derart hoch, dass Kur-Hannover 1767 mit der Genehmigung der Grünglashütte im Bramwald (bei Hann. Münden) durch König Georg III. gegensteuerte, um sich nicht vollständig von dieser auswärtigen Glaswaren-Versorgung abhängig zu machen.

Der Herzog als Glas-Fabrikant

Vorangegangen war eine Zäsur in Form einer nahezu vollständigen Verstaatlichung des Glaswesens im Fürstentum. Die Neu-Gründungen der 3 ortsfesten Glashütten Schorborn, Holtensen (Holzen) und am grünen Plan (Grünenplan, für Spiegelglas) im braunschweigischen Weser-Distrikt durch Karl I. fanden ab dem Jahre 1744 statt. Schon 1743 kaufte er die Steinbeker Glashütte (Hellental) auf, die einst 1716 dem Glasmacher Gundlach durch Herzog August Wilhelm genehmigt worden war. Die nötigen „Sondierungen“ für Karls Vorhaben waren dem versierten Oberjägermeister J. G. von Langen übertragen worden, dem der Ruf folgte, dass ihm „fast der ganze Inhalt der Gewerbskunde seiner Zeit geläufig war.“
Während seine zahlreichen Amtsvorgänger sich bisher lediglich auf Konzessionsvergaben für Glashütten-Gründungen beschränkt hatten, riss Herzog Karl nun nicht nur dieses (Groß-)Produktions-Monopol an sich. Ende des Jahres 1749 wurden fürstlich „C“ markierte Formbouteillen den Hohlglashütten Schorborn und Holzen für den Landesgebrauch vorgeschrieben. Privater Pächter in Schorborn war ab 1774-80 kurzfristig auch der Amtmann Wackerhagen.
Noch nach der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden weitere hoheitliche Markenzeichen an verschiedene Unternehmen (Stobwasser, Fürstenberg, Kaffee-Fabrikanten, ...) als Privileg und besondere Gunst vergeben. Auch das erwähnte „fürstliche C“ (als Spiegelmonogramm) wurde noch lange nach Karls Tod (1780) als Hüttenzeichen begleitend weitergeführt, wie rezente Flaschen beweisen. Weiterer Ausdruck der engen Verbundenheit des Herzogs mit der Schorborner-Hütte war ihre damals geläufige Bezeichnung als „Carlshütte“.
Der Residenz-Wechsel von Wolfenbüttel nach Braunschweig 1753 war keinesfalls der Schlusspunkt in einer Reihe teilweise „exotischer“ Aktivitäten des rastlosen Fürsten, der u.a. auch 1753 die schon erwähnte Porzellan-Manufaktur Fürstenberg gründete. Pfälzer, die der Weinliebhaber ursprünglich für den Weinbau (auch Mais und Tabak) um 1750 ansiedelte (Veltenhof), etablierten erfolgreich den Spargelanbau in der Region. Bereits 1746 ließ er 50 000 Maulbeerbäume auf dem Münzberg bei Braunschweig als Basis einer Seidenraupenzucht pflanzen, die immerhin bis Ende des Jahrhunderts erhalten wurde. Der Versuch bei Braunlage Kartoffeln anzubauen scheiterte 1748. Finanzielles Fundament seiner oft vergeblichen „Experimente“ und Investitionen war immer auch das lukrative und krisensichere Glasgeschäft, welches er stets fest im Blick behielt. Karl regelte und organisierte den Absatz-Markt und Glas-Handel in seinem Fürstentum noch im im Alter von 60 Jahren.
Der „Verkaufs Tariff für das Braunschweigische Glas=Magazin“ (im Prinzip ein Warenkatalog) listet 1773 explizit alle im Hütten-Magazin erhältlichen Glasprodukte und verpflichtete die Meister der „hiesigen Glaser-Gilde“ sich ausschließlich mit diesen Erzeugnissen zu versorgen. Im Lager-Gebäude des Hütten-Magazins in Schorborn war seinerzeit auch die sogen. „Schneidewerkstatt“ untergebracht. Die Glaser erwarben Glas, wie z.B. Flachglas für Fenster, zur Weiterverarbeitung. Auch die „Veredlung“ von Gläsern war bisweilen Teil ihres Handwerks. Die „fertigen“ Glas-Produkte wurden danach verkauft oder verbaut (z.B. als Butzen-Fenster).
Rückblickend erscheint das beharrliche Gesuch der Glasmacher von 1737 fast als ein verspäteter Hilferuf der Gilde. Ob Karls persönliches Faible für das Glaswesen auf den aufgezeigten positiven Erfahrungen seiner Vorgänger mit insbesondere dem Flaschen-Handel beruhte, oder lediglich sein guter Berater von Langen mit seinen Branchen-Kenntnissen zu den sehr erfolgreichen Unternehmungen führte, sie dahingestellt.
Mit der schrittweisen Einführung der Gewerbefreiheit im frühen 19. Jahrhundert und der rasch fortschreitenden Industrialisierung verloren letztlich trotz aller einstigen Bemühungen auch die Gilden und Zünfte endgültig ihre ehemalige wirtschaftliche Bedeutung und Exklusivität.

Quellen und weiterführende Literatur:

Albrecht, Peter: Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671-1806). Braunschweig 1980.

Becker, Wilhelm: Die Fürstlich-Braunschweigischen Glashütten. Niedersächsisches Jahrbuch. 1927

Bloss, Otto: Die älteren Glashütten in Südniedersachsen. Hildesheim 1977.

Hamm, F. : Naturkundliche Chronik Nordwestdeutschlands, Hannover 1976.

Koch, Jens: Die Gewerbereform. Das Reformzeitalter in Deutschland 1800-1815. Hausarbeit T.U. Braunschweig. 1994/95.

Koch, Jens: Glassiegel mit königlichen Monogrammen. Peine 1995.

Koch, Jens: Frühe Formbouteillen und Glassiegel. Ältere Glasmarken und Flaschen mit Hüttenzeichen. Peine 2016.

Koch, Jens u. Poser, Karl-Heinz: Verkaufstarif für das Braunschweigische Glas-Magazin von 1773. In: Die Flaschenpost, Heft 2/1999 S. 18-20.
Plan von der Glashütte zu Schorborn 1795
Stadtarchiv Braunschweig Sign. C VII 485.
Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel 2 Alt Nr. 12585
Wikipedia gemeinfrei
Für seine ausführlichen Hinweise zur Produkt-Kennzeichnungspflicht und zum Glaswesen im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel danke ich Herrn Dr. Philip Haas, Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel.

  • Einst mit Bier befüllte Flasche aus Schiffswrack vor 1720
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