Sanierung in Sichtweite oder ein Fass ohne Boden?
IVG Immobilien und das Land Niedersachsen schließen ein Abkommen zur Beseitigung vor Rüstungsaltlasten
Das vorletzte Kapitel in der Aufarbeitung der Rüstungsindustrie im Harz wurde am 30 April aufgeschlagen. Das Niedersächsische Umweltministerium und die IVG Immobilien AG (IVG) schlossen nach jahrelangen Verhandlungen einen Vergleich zur Sanierung der Rüstungsaltlasten. Danach wird die IVG mit Sitz in Bonn jährlich zwei Millionen Euro für die Beseitigung von Bodenbelastungen aufwenden. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 15 Jahren.
Zwei Drittel der Mittel sollen für die Beseitigung der Altlasten auf den Grundstücken verwendet werden, die noch im Besitz der IVG sind. Der Rest des Geldes wird an das Land Niedersachsen gezahlt, die damit die Arbeit der Unteren Wasserschutzbehörden unterstützen will. Für das ehemalige Werk Kiefer in Herzberg gibt es eine Sonderlösung. Der Vertrag ermöglicht eine 100% Kostenübernahme, obwohl der Standort nicht mehr zum IVG-Besitz gehört. Schließlich ist der Rechtsstreit um das Gelände am Pfingstanger Auslöser für die Verhandlungen zwischen dem Alteigentümer und dem Land.
Das Rüstungsdreieck
Der Harz und das südliche Niedersachsen waren ein Zentrum der Rüstungsindustrie in den 30-er und 40-er Jahren. Nach der Machtergreifung errichteten die Nazis hier in kurzer Zeit viele Produktionsstätte. Die Region war ein idealer Standort. Mitten in Deutschland und fernab der internationalen Aufmerksamkeit garantierte die schwache Struktur für ausreichende Arbeitskräfte. Der Niedergang des Bergbaus im Harz viele Ingenieure und Facharbeiter arbeitslos gemacht.
Verantwortlich für den Bau und den Betrieb der Werke war ein Geflecht aus privaten und öffentlichen Unternehmen, das sogenannte Rüstungsdreieck. Dazu gehörten die Dynamit AG, deren Tochter Verwertchemie und die Montan-Industriewerke AG. Diese Unternehmen wurde 1951 in IVG umbenannt und in den 1990er Jahren privatisiert.
In zwei Schritten entstand das Werk Tanne ab 1935 Clausthal-Zellerfeld. Innerhalb von drei Jahren wurden auf insgesamt 110 Hektar Wald zwischen Oberharzer Teichen unzählige Hallen und Bunker errichtet. Zwischenzeitlich war es die größte Fabrik für die Sprengstoff im Deutschen Reich. Mehr als 100.000 Tonnen Trinitrotoluol (TNT) wurden hier bis 1945 produziert. In Spitzenzeiten waren mehr 2.500 Arbeitskräfte mit der Herstellung und der Verladung des Sprengstoffes beschäftigt, mehr als die Hälfte zwangsarbeiterinnen aus Südosteuropa und sowjetische Kriegsgefangene. Sie waren für die gefährlichen Arbeiten zuständig.
Die Gefahr
TNT ist nicht nur explosiv, TNT ist auch hochgradig giftig. Der Stoff aus Erdöl verändert das Erbgut, ist krebserregend und kann bei der Aufnahme über die Atemwege oder den Mund zum baldigen Tod führen. Schon kleinste Menge im Boden müssen beseitigt werden. Zudem gilt TNT als äußerst stabile Verbindung. Experten gehen von einer Lebensdauer von 450 Jahren und der Zerfallprozess sorgt dafür, dass der Stoff noch gefährlicher wird.
Beim Umfüllen des Sprengstoffs in die Bomben und bei mehreren Explosionen wurde das TNT in der Umgebung verteilt. Zudem fielen riesige Mengen verseuchtes Abwasser an. Es wurde anfangs über den Kaiserin Ottiliae Schacht entsorgt. Doch nach nicht einmal einem Jahr beschwerte sich die Preussag darüber, das die ätzende Brühen die dort installierten Turbinen beschädigten. Also wurden die Giftsuppe in den Pfauenteichen zwischengelagert. Später wurde die Säure in den kleinen Fluss Bremke gepumpt. Mehr als 600.000 Kubikmeter wurden so entsorgt und in Schluckbrunnen westlich von Osterode in das Erdreich verpresst. Noch in den 50er Jahren war der Lauf der Bremke in den Wohngebieten mit Betonplatten verdeckelt. Die Abwässer gelangten so in das Einzugsgebiet von Innerste und Leine.
Die Altlasten
Drei Jahre lang sanierten die Niedersächsichen Landesforsten als eigentümer bis 2012 die Pfauenteiche mit Millionenaufwand. Auch 65 Jahre nach dem Kriegsende war das wasserunlösliche Gift in hoher Konzentration im Schlamm vorhanden. Trotz Sanierung ist das Baden ist im diesem Teil des Weltkulturerbes immer noch verboten.
Im Werk Kiefer in Herzberg wurden in erster Linie Minen und Bomben mit dem Sprengstoff gefüllt. Die TNT-Produktion spielte hier keine Rolle. Doch spätestens mit der großen Explosion vom 4. April 1945 wurde das Gift auf dem gesamten Gelände verteilt.
Die Funde
Im Dezember 1987 stellten Proben durch das Niedersächsische Umweltministerium klar, dass der Pfingstanger an vielen Stellen mit TNT und seinen Metaboliten belastet ist Zusätzlich fanden sich andere Gifte aus der Klasse der aromatischen Kohlenstoffe, die eindeutig auf die Rüstungsproduktion zurückgehen. Gerade im Bereich des Mühlengrabens und der Löschteich überschritten die Konzentrationen die gesetzlichen Meldewerte um ein Vielfaches. Der Pfnigstanger gehört zum Einzugsgebiet des Pöhlder Beckens und dient der Trinkwassergewinnung für einige Gemeinde im Südharz.
Für das Werk Tanne wurden bei unterschiedlichen Untersuchungen sieben Stoffklassen aus der Sprengstoff nachgewiesen, die schwere Schäden für die menschliche Gesundheit und an der Natur verursachen. Schon Anfang der 80-er Jahre beschäftigte sich der Landkreis Goslar das erste Mal mit diesem Thema, damals ohne Ergebnis.
Die Gerichte
Dies war der Auftakt zu einem juristischen Tauziehen, der Jahrzehnte dauerte und bis in die höchsten Etagen der deutschen Gerichtsbarkeiten. 1967 hatte die Stadt Herzberg das Gelände von der IVG gekauft und hier den städtischen Bauhof eingerichtet. Doch das Bundesbodenschutzgesetz lässt die nachträgliche Haftung von Alteigentümern zu. 1992 forderte der Landkreis Osterode als Wasserschutzbehörde das damals noch bundeseigene Unternehmen auf, den belasteten Boden zu entfernen und das Gelände zu sanieren.
Die IVG wehrte sich und zog durch die Instanzen. Das Bundesverfassungsgericht kassierte 2001 ein Urteil des Oberverwaltungsgericht Celle und verwies das Verfahren zur Neubewertung an das OVG zurück. Dort wurde die Auseinandersetzung in den Ruhezustand versetzt. Keiner der Beteiligten zeigte seit dem Interesse an einer richterlichen Entscheidung.
Die Öffentlichkeit
Ähnliches galt für die Informationspolitik seitens der Kreisverwaltung in diesen 13 Jahren. Verschweigen, beschwichtigen, herunterspielen und irritieren. Mit der Tageszeitung im Kreis Osterode scheint es ein heimliches Stillhalteabkommen zu geben. Mehr als 10 Jahre gab es keinen Bericht zum Thema. Dabei hatten mehrere Folgeuntersuchungen die Belastungen des Pfingstangers und die Gefahren für das Trinkwasser bestätigt.
Erst als der Unternehmer Ludwig Kirchner 2011 ein Teil des Geländes am Pfingstanger erwarb, um dort eine alte Wasserturbine zur Stromerzeugung wieder in Betrieb zu nehmen, griff das Wochenblatt “Harzer WochenSpiegel” das Thema wieder auf.
Während die Gesundheitsgefahren durch die TNT-Belastung heruntergespielt wurden, wurden der Maschinenbaufirma Kirchner mit Verweis auf die Vergangenheit hohe Auflagen bei der Nutzung des Teilstücks gemacht. Statt auf eine aktive Sanierung hinzuarbeiten, setzten Osterorde Erster Kreisrat Geißlreiter und seine Verwaltung auf Abbauprozesse durch Mikroorganismen. Die Behörde erklärt das kontaminierte Gelände einfach zum Naturschutzgebiet. Dass diese Hoffnung auf die Mikroorganismen trügt, hatten der IABG Umweltservice und das Fraunhoffer Institut schon bei der Sanierung der Pfauenteichen dokumentiert.
Presseanfragen wurden von Seiten der Kreisverwaltungnur schleppend und ausweichend beantwortet, immer wieder wurde auf die Zuständigkeit des Niedersächsichen Umweltministeriums (MU) verwiesen. Auch das MU spielt auf Zeit und verwies auf den Landkreis Osterode als zuständige Untere Wasserschutzbehörde zurück. Das es Gespräche in mit dem Alteigentümer IVG in dieser Sache gab, wurde immer wieder betont. Aber zum Stand der Verhandlungen gabe es keine Auskünfte und es wurde nie klar, ob nun der Landkreis Osterode oder die Landesregierung der Verhandlungspartner der IVG ist. Diese Frage scheint aber seit dem 30. April geklärt.
Das Fass ohne Boden?
Doch das Vertragswerk könnte sich für die betroffenen Kommunen und Kreise zum Boomerang werden. Auf den ersten Blick scheint die IVG die Sanierung der Eigentumsflächen in Clausthal-Zellerfeld, Liebenau und Dörvelden sicher gestellt zu haben. Doch allein die Installation einer Sickerwasserreinigungsanlage im Werk Tanne wird derzeit mit Kosten von 6,95 Millionen Euro veranschlagt, Folgekosten noch nicht eingerechnet. Diese Installation einer solchen Anlagen begrenzt den Eintrag von Schadstoffen in die Wasserkreisläufe und ist damit eine Maßnahme zur Verbesserung der Situation verbessern. Sie beseitigt aber nicht die Schadstoffe auf dem alten Werksgelände. Dazu wären weitere Maßnahmen nötig.
Schwieriger wird es bei der Sanierung der Grundstücke, bei denen die IVG lediglich Alteigentümer ist. Hier stehen 10 Millionen aus der Kasse des Unternehmens zur Verfügung, verteilt auf 15 Jahre. Nach dem vereinbarten Schlüssel 75 : 25 würde das Land dann noch einmal 3,3 Millionen hinzugeben.
Eine Sonderrolle genießt der Standort Herzberg. Hier könnten die Sanierungsmaßnahmen zu 100 Prozent aus dem großen Topf finanziert werden. Überschreitet der Betrag die 1-Millionen-Grenze, dann geht diese zulasten der Sanierung der Eigentumsflächen. Wie viel die Sanierung am Pfingstanger kosten wird, kann derzeit niemand sage. Trotz der jahrzehntelangen Auseinandersetzung gibt es keine Kostenschätzung. Ein Unsicherheitsfaktor am Pfingstanger sind die zahllosen Katakomben und unterirdischen Bunker, die nie erfasst wurden. Der scheidende Bürgermeister Gerhard Walter zeigte sich angesichts der Herzberger Sonderstellung erfreut. Dennoch sieht er die Gefahr, dass auf die Kommune hohe Kosten zukommen werden.
Die Kosten für die Sanierung einer Eigentumsfläche gelten bereits als sicher. Die Beseitigung der Altlasten auf den TuS-Sportplatz wird vom Landkreis mit 3,43 Millionen Euro veranschlagt. Dreiviertel davon würden aus dem IVG-Mittel bezahlt, den Rest müsste die öffentliche Hand tragen. Doch der Maßnahmenkatalog des Kompromissvertrages listet allein in den Landkreisen Goslar und Osterode elf weitere belastete Areale auf.
Nach Angaben von Ministeriumssprecherin Inka Burow soll der Handlungsbedarf in Herzberg bis Mitte Juni abgeschätzt werden. Dazu bedürfe es noch einiger Untersuchungen. Anschließend soll nach einer Bewertung durch das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie die Kostenschätzung für den Pfingstanger vorgelegt werden. Bis Anfang August soll nach Aussage von Inka Burow ein Konzept für den Pfingstanger vorliegen. Das weitere Verfahren an den andern Standorten wie dem ehemaligen Schluckbrunnen im Osteroder Stadtteil Petershütte ist derzeit noch unklar.
Die Motivation
Warum das Unternehmen nach so vielen Jahren eingelenkt,istderzeit noch unklar. Eine offizielle Erklärung liegt noch nicht vor. Ein Grund dürfte die derzeitige Situation des Bonner Unternehmens sein. Die IVG befindet sich seit August 2013 im Insolvenzverfahren und möchte sich im Herbst 2014 als saniert präsentieren. Doch die ungewissen Forderungen in Sachen Rüstungsaltlasten sind laut Handelsblatt schon seit Jahren ein Hinderungsgrund für den Einstieg neuer Investoren. Somit hat das Unternehmen hier nun Klarheit geschaffen.
So widersprüchlich es klingen mag. Die jährlichen Zahlungen entlasten die IVG um etliche Millionen. Auf Empfehlung des MU hatte der Kreistag Goslar in einer vertraulichen Sitzung im März auf seine Insolvenzforderungen an die IVG in Höhe von 16,68 Millionen verzichtet. Wenn man die zugesicherten Sanierungsmaßnahmen gegenrechnet, dann spart das Unternehmen fast 7 Millionen Euro. Für den Landkreis Goslar galt wohl das Motto vom Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach.
Das letzte Kapitel
Ob den tausenden von unbekannten Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangenen, die ihr Leben in der Westharzer Rüstungsindustrie verloren, irgendwann in geeigneter Form gedacht wird, bleibt ungewiss. Bis heute ist unklar, wie viele Tote auf dem sogenannten Russenfriedhof bei Clausthal-Zellerfeld verscharrt wurden.