Auf den Spuren der Brüder Grimm
Die von Wilhelm und Jacob Grimm gesammelten Kinder- und Hausmärchen gehören zu den Klassikern der deutschen Literatur. Hänsel und Gretel, Aschenputtel und Rotkäppchen sind 200 Jahre nach dem ersten Erscheinen in Buchform nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt bekannt. Aufgeschrieben wurden die heute zum UNESCO Welterbe gehörenden Märchen in Nordhessen. Heute nutzt die Erlebnisregion in Deutschlands Mitte die bekannte Tradition, um Touristen in der Mittelgebirgslandschaft rund um Kassel zu einem besonderen Erlebnis einzuladen. In der Heimat der Brüder Grimm können die Gäste die romantische Märchen- und Sagenwelt entdecken.
Der Urlaub in der Region beginnt für die meisten Gäste in Kassel. Die Stadt ist nicht nur mit dem Zug hervorragend zu erreichen, sondern auch Standort der neu entstehenden Grimm-Welt. Im Sommer 2015 eröffnet auf dem Weinberg ein Erlebnismuseum mit 1.600 m² Ausstellungsfläche. Baulich in die malerische Landschaft integriert wird es schon bald Anziehungspunkt für Grimm-Begeisterte aus aller Welt sein. Diese werden auf mehreren Etagen Zeugnisse und Dokumente aus dem Leben der Brüder Grimm erleben. Wer vor Ort ist, hat es nicht weit zum Museum für Sepulkralkultur. Dieses beschäftigt sich mit dem Tod und findet häufig überraschende und ungewohnte Zugänge zu diesem schwierigen Thema. Dazu gehört nicht nur ein zum viel zu kurzen Leichenwagen umgebauter Trabant auf der Terrasse und ein Angebot sarkastischer Postkarten, sondern auch die Ausstellung „Die Verwandlung“ über Sterben und Trauer zur Zeit des ersten Weltkriegs. Diese wird noch bis zum 10. Mai 2015 gezeigt. Doch die Geschichten der Brüder Grimm findet man in Nordhessen nicht nur im Museum.
So haben sich eine Reihe von Köchen nach festgelegten Qualitätsstandards zu „Märchenköchen“ ausbilden lassen. Dazu werden die Köche nicht nur in der regionalen Küche geschult, sondern auch im Umgang mit den Gästen und in der Präsentation von Geschichten zu den verschiedenen Speisen. Durchlaufen hat die Schulungen zum Beispiel Märchenkoch Dieter Amelung vom Parkhotel Emstaler Höhe in Bad Emstal 20 km südwestlich von Kassel. Auf seiner Speisekarte stehen nun unter anderem „Hans im Glück – Filet vom Schweinchen im ManGoldblatt mit gekrönter Beilage“ oder als Dessert „Prinzessinnen-Meeting im Glassarg – Giftiger Schmorapfel und Bio-Roseneis“. Auch Nordhessen-Sushi mit Kartoffeln und Quitte statt Zitrone wurde hier schon serviert. So können Haus- und Restaurantgäste des 4-Sterne-Hauses auch kulinarisch in die Märchenwelt eintauchen. Hotelier Stefan Frankfurth hat sich in vielen Bereichen den Märchen verschrieben. So hat er einige Zimmer umgebaut und diese mit Zeichnungen des regionalen Künstlers Albert Schindehütte in Märchenzimmer verwandelt. Jeden ersten Samstag im Monat gibt Märchenerzählerin Kirsten Stein dem Frühstücksraum eine besondere Stimmung. „Zum Leben erweckte Worte schicken die Phantasie auf Reisen“, beschreibt sie ihre Erzählkunst. Dabei geht sie passend kostümiert von Tisch zu Tisch und präsentiert mit ausdrucksstarker Stimme verschiedene Märchen.
Wie 120 andere Gastgeber gibt das Parkhotel Emstaler Höhe an seine Gäste die „MeineCard Plus“ aus. In Verbindung mit dem Ausweis ist die Karte nicht nur Fahrausweis für den Nahverkehr in der ganzen Region, sondern auch Eintrittskarte für viele Sehenswürdigkeiten in der Heimat der Gebrüder Grimm. Gut 90 Urlaubsattraktionen öffnen ihre Türen für Karteninhaber kostenfrei. Dazu gehören Bergbahnen, Museen, Tierparks und Thermen. Das ist gerade wertvoll, wenn das Wetter nicht mitspielt und das einfach zu fahrende Radwegenetz genauso wenig verlockt wie Wanderwege. Premiumwanderweg ist der Habichtswaldsteig von Zierenberg zum Edersee. Mit der „Meine Card Plus“ kann man den ganzen Tag touristische Ziele in der Region entdecken, ohne sich über Kosten Gedanken zu machen. Lohnend ist unter anderem ein Besuch in Schloss Wilhelmshöhe. Gezeigt werden dort Antikensammlung, grafische Sammlung und Gemäldegalerie unter anderem mit einer sehenswerten Rembrandt-Sammlung. Oberhalb liegt ein bei schönem Wetter reizvoller Aussichtspunkt. Dort kann man im barocken Bergpark Wilhelmshöhe das Oktogon besuchen und sich die Pyramide mit der 8,3 Meter hohen Herkules-Figur anschauen. Landgraf Karl von Hessen Kassel ließ den achteckigen Bau auf dem Karlsberg mit der Monumentalstatue einst errichten. Von der Aussichtsplattform in 28,5 Meter Höhe hat man eine spektakuläre Aussicht auf die Parkanlagen und die Stadt.
Wer mehr über Albert Schindehütte erfahren möchte, kann sich die Schauenburger Märchenwache anschauen. In einer ehemaligen Feuerwache unterhalten Ehrenamtliche dort eine Ausstellung und bieten Lesungen und Vorträge an. Sehenswert ist auch der Wassernixenbrunnen vor der Wache. Seine Botschaft kann man nur lesen, wenn man auf die Spiegelung im Wasser schaut. In der Märchenwache selbst erfährt man Hintergründe über zwei wichtige Märchenbeiträger. Anders als oft vermutet haben die Brüder Grimm sich die Märchen nicht selbst ausgedacht, sondern sie von anderen – oft gegen Bezahlung - erzählt bekommen. Dornröschen, Rotkäppchen und Schneewittchen zum Beispiel wurden ihnen von der gebildeten Bürgerstochter Marie Hassenpflug erzählt, die in der Nähe der Märchenwache lebte. Auch von Johann Friedrich Krause stammen sechs Märchen in der Sammlung der Brüder. Der Sohn eines Schulmeisters hat diese gegen alte Kleider getauscht.
Doch nicht nur die Märchen machen Nordhessen zu einer interessanten Region. Auch regionale Speisen wie die Ahle Wurscht sind eine Besonderheit. Diese Rohwurst wird traditionell gleich nach der Schlachtung aus dem noch warmen Fleisch hergestellt. Hinzu kommen dann nur Salpeter für die Farbe, Gewürze und Meer- oder Salinensalz. Im Vergleich zur sonst üblichen Verarbeitung von Wurst bringt die traditionelle Warmverarbeitung einen besonderen Geschmack hervor. So ist die Wurst nach der Reifung im Inneren mürbe wir Marzipan und nicht weich wie Gummi. Neun traditionelle Wursthersteller haben sich zum Förderverein Nordhessische Ahle Wurscht zusammengeschlossen, der für die besondere Qualität der Unternehmen bürgt. So verzichten diese auf Eiweißbindemittel zur Beschleunigung der Reifung und lassen der Wurst mehrere Monate Zeit zur Reifung in traditionellen Kammern. Nach den gleichen Methoden wie schon vor Jahrzehnten trocknet die Wurst in ungebrannten Lehmkammern und verliert dabei rund die Hälfte an Gewicht. Diesen Gewichtsverlust sehen die traditionellen Hersteller als Qualitätsmerkmal und steuern nicht durch die Zugabe von Guakernmehl gegen. Daher ergibt sich ein Preis von rund 20 Euro pro Kilogramm für das regionale Qualitätsprodukt. Auch Gentechnikfreiheit hat ihren Preis. Sie sorgt für einen Mehrpreis von 1,75 Euro pro Kilogramm. Probieren kann man die Wurst unter anderem beim jährlich stattfindenden Ahle Wurscht Tag. Immer am 1. Sonntag im November kann man den kleinen Geschmacksunterschied bei den verschiedenen Produzenten erschmecken und sich mit einem Vorrat an Ahle Wurscht eindecken. Die rohe Schweinewurst ist lange haltbar und kann auch angeschnitten im Kühlschrank länger verwahrt werden. Wie vielfältig man die Wurst einsetzen kann, zeigen die Aussteller beim Ahle Wurscht Tag. So wurde unter anderem Schokolade mit Ahle Wurscht präsentiert.
2,3 Millionen Gäste ließen sich im letzten Jahr von der Grimm Heimat begeistern. Die Mischung aus Mittelgebirgslandschaft, idyllischer Natur und Kulturschatz macht Nordhessen zu einem vielseitigen Reiseziel. Während manche Gäste eine Auszeit nehmen und in der waldreichen Region mit Thermen und Kurparks entspannen, nutzen andere Urlauber die Zeit, um Kleinstädte mit malerischen Fachwerkhäusern, Museen und touristische Angebote zu erkunden. Radtourismus, Kanutouren und Wandertourismus gewinnen bei aktiven Gästen immer mehr an Beliebtheit. Dabei kann man bekannte Ziele wie den Edersee mit seiner 400 Meter langen Sperrmauer oder die Deutsche Märchenstraße mit kaum entdeckten Orten im Dornröschenschlaf verbinden. Selbst Albert Einstein gilt als Märchen-Fan. Ihm wird das Zitat „Wenn du intelligente Kinder willst, lies ihnen Märchen vor.“ zugeschrieben.