"Handel ist Wandel": Ein Interview mit Thomas Wörle (Wirtschaftsförderung der Stadt Aichach)
myheimat: „Städte werden ihre Attraktivität nicht mehr allein über ihr Warenangebot entwickeln können. STADT wird sich künftig noch mehr definieren über ihre Aufenthalts-, Erlebnis- und Kommunikationsqualität“, sagte uns vor kurzem Bürgermeister Klaus Habermann in einem Interview. Hat er damit recht? Muss man am Ende „Innenstadt“ ganz neu denken?
Wörle: Ja, da hat er recht! Und es ist nicht nur mehr eine Frage des „ganz neu denken“, sondern schon jetzt eine Herausforderung, den Wandel aktiv mitzugestalten. Was ganz wichtig ist: Innenstadt war immer im Wandel. Es gab Zeitabschnitte, in denen kaum Veränderungen waren. Und dann gibt es Zeiten mit tiefgreifenden Änderungen. Änderungen, die nicht zu stoppen oder umzukehren sind. Als Beispiel muss dazu nicht weit in die Vergangenheit zurückgegangen werden. Vor nicht mal hundert Jahren gab es am Stadtplatz noch Brauereien, auch Wirtschaften, bei denen Pferde untergestellt wurden. Dass diese Gebäude und Tätigkeiten auf einmal verschwinden würden, hätte damals niemand gedacht. Ein anderes Beispiel sind Handelsprodukte, die vor zwanzig Jahren noch in mehreren Geschäften in der Innenstadt verkauft wurden, die aber heute auf Grund des technischen Fortschritts unverkäuflich sind, wie zum Beispiel Fotoapparate oder Musikkassetten und LPs. Handel ist Wandel - Handel reimt sich vielleicht nicht nur aus Zufall auf Wandel. Ich glaube, dass die Innenstadt weiter ein lebendiger und anziehender Mittelpunkt für die Bürger bleiben wird. Aber er wird sich verändern und Aufgabe der Stadtverwaltung ist, diesen Transformationsprozess mitzugestalten, aber aufhalten kann sie den Wandel nicht. Vor diesem Hintergrund finde ich gerade die Überlegungen, das alte Feuerhaus weiter für Ausstellungen oder Ähnliches zu nutzen, als sehr interessant.
myheimat: „Viele positive Veränderungen sind aus Krisen entstanden“ – Können Sie diesem Satz etwas abgewinnen?
Wörle: Nein, dem Satz kann ich nicht ganz so viel abgewinnen, wobei mir schon bewusst ist, was Sie meinen. Eigentlich sagt er doch, aus Krisen können sowohl positive als auch negative Veränderungen entstehen. Manchmal gelingt es dann, aus den ungeplanten Veränderungen positive neue Wege einzuschlagen. Bei vielen Krisen ist das möglich, bei vielen nicht. Krisen sind nicht vorherzusehen und das macht den Umgang mit ihnen so unangenehm. In Krisen zeigt sich, und das wirklich beschleunigt, wer oder was in der Lage ist, mit Veränderung besser klar zu kommen. Fragiles Statisches ist wesentlich anfälliger als Dynamisches. Wichtig wäre, das ganze Handeln so zu gestalten, dass man nicht anfällig ist für Krisen. Das gelingt eher dem, der ständig Neues versucht, als dem, der im Status quo verweilt. Vereinfacht gesagt: kann, wer ständig auf der Suche nach Innovationen ist, auf schlagartige Veränderungen besser reagieren. Vielleicht ein wenig ähnlich wie das Sprichwort „Stillstand ist Rückschritt“.
myheimat: Herr Wörle, in unserem letzten myheimat-Jahrbuch-Interview sagten Sie, dass es im Innenstadtbereich kaum Leerstände gebe. Dennoch kann man nicht übersehen, dass sich der stationäre Einzelhandel schon vor der Coronakrise in einer angespannten Situation befand. Für die „klassischen“ Ladengeschäfte scheint der anonyme Online-Handel zu einer übermächtigen Konkurrenz zu werden. Die aktuelle Coronakrise verschärft die Problematik noch zusätzlich. Wie wollen Sie eine vielfältige Geschäftswelt in Aichachs Innenstadt „am Leben“ halten?
Wörle: Leerstände gibt es in der Tat nicht so viele. Natürlich stehen ein paar Räumlichkeiten leer. Andere Städte stehen da wirklich schlecht da. Ganz generell hat die Stadtverwaltung auch kaum Möglichkeit, auf Vermietungen Einfluss zu nehmen. Das ist Sache der Eigentümer und viele kümmern sich da sehr engagiert um ihre Vermietungen. Manche Immobilien sind aber auch per se schwierig zu vermieten. Wie Sie auch sagen, ist der anonyme Online-Handel immense Konkurrenz zu den klassischen Ladengeschäften. Angst ist mir nicht. Ich glaube, dass viele Ladeninhaber so innovativ sind, dass sie ihre Kunden weiter mit ihren Produkten und Dienstleistungen begeistern werden können. Der Handel lebt aber auch von Frequenz und Aufenthaltsqualität. Hierzu wiederum trägt die Stadtverwaltung viel bei. Die Landesausstellung ist hierzu ein gutes Beispiel. Viele Händler und Gastronomen haben eine positive Rückmeldung gegeben, dass sich die damit einhergehende Frequenz auf ihr Geschäft sehr positiv ausgewirkt hat. Ein anderer Punkt ist z.B. die fast kostenfreie Überlassung der Außenfläche an die Gastronomie. Hierdurch wird den Wirtschaften und Cafés die Möglichkeit zur Außenbestuhlung geboten, was wiederum viele Menschen in die Innenstadt zieht. Auch die vielen Veranstaltungen und Aktionen wie Kunstmeile, das neue Format „Musiksommer“, für das sogar staatliche Fördermittel generiert werden konnten, der Rathausadventskalender, usw. sind hier zu nennen.
myheimat: Die Corona-Pandemie brach im März sehr plötzlich und mit voller Wucht über Deutschland herein. Wie reagierten die Stadt und insbesondere die Wirtschaftsförderung, um die Folgen der Krise für die örtlichen Geschäfte und Unternehmen abzumildern? Als Stichwörter seien Digitales Schaufenster sowie das Zusammentragen der Fördermöglichkeiten genannt...
Wörle: Grundsätzlich sind im Stadthaushalt keine unmittelbaren finanziellen Hilfeleistungen haushaltsrechtlich zulässig! Finanzielle Unterstützung ist durch eine Kommune nicht zu leisten und auch nicht ihr Auftrag. Somit bleiben nur wenig direkte Maßnahmen, um die Folgen der Corona-Krise abzumildern. Doch auch da ist der Spielraum sehr schwierig. Als Beispiel möchte ich Ihnen den verkaufsoffenen Sonntag Ende November nennen. Die Stadtverwaltung um den Ersten Bürgermeister hat hier versucht, diesen verkaufsoffenen Sonntag zusammen mit dem Einzelhandel möglich zu machen. Problematisch war dabei jedoch, dass man überlegen musste, ob das angesichts der steigenden Coronafallzahlen überhaupt geboten war. Setzt sich da die Stadtverwaltung für einen verkaufsoffenen Sonntag ein, muss man sich der Kritik stellen, ob das bei den steigenden Zahlen zu verantworten ist. Andererseits müsste man sich bei einer Nichtdurchführung von dem Handel die berechtigte Frage stellen lassen, warum man sich als Stadtverwaltung gerade jetzt nicht mehr für den Handel einsetzt. Da war ein kluges Abwägen nicht leicht. Wir hatten aber einem verkaufsoffenen Sonntag mehr Sinn gegeben als einer Absage. Gerade in Coronazeiten erfahren viele Einzelhändler jetzt auch besondere Solidarität ihrer Kunden. Dazu kommt, dass große Einkaufscenter momentan nicht so gerne angenommen werden. Mit dem von Ihnen angesprochenen digitalen Schaufenster gibt die Stadtverwaltung Unternehmen eine zusätzliche Stütze, online mehr präsent sein zu können. Hier haben wir extra eine zusätzlich Kategorie „Corona – Lieferservice und Angebote“ aufgenommen. Das ersetzt aber nicht die Online-Präsenz der Unternehmen selbst. Zu den Fördermöglichkeiten und sonstigen Infos zu Corona wird auf der städtischen Website aktuell hingewiesen.
Hierbei muss man aber sagen, dass das nur allgemeine Hinweise sind. Für detaillierte Antworten, gerade zu den einzelnen Fördermaßnahmen, zu dem konkreten Was und Wie, da kommen die Unternehmen nicht umhin, sich gezielte individuelle Informationen bei ihren Beratern zu holen. Hierfür sind die Steuerberater die beste Anlaufstation.