"Vom Christkind" erschien vor genau hundert Jahren
Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee,
mit gefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her –
was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihr Naseweise, ihr Schelmenpack –
meint ihr, er wäre offen, der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin:
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!
Dieser Vers mit dem schlichten Titel „Vom Christkind“ ist vor genau hundert Jahren erschienen. Verfasserin war die Kasseler Lyrikerin und Schriftstellerin Anna Ritter, geborene Nuhn. Das „Lexikon deutscher Frauen der Feder“ schreibt im zweiten Band (Berlin 1898) über die ersten Lebensjahre Ritters:
Ritter, Frau Regierungsrat Anna, Frankenhausen, Kyffhäuser, geboren am 23. Februar 1865 zu Koburg, verlebte sie die ersten Kinderjahre in New-York, kehrte 1869 nach Deutschland zurück und besuchte in Kassel die Schule. Vom vierzehnten bis zum sechszehnten Jahre erhielt sie ihre Erziehung in einem Herrnhuter Pensionat der französischen Schweiz. Sie verlobte sich bald nach der Heimkehr mit dem damaligen Referendar Rudolf Ritter. Durch den Tod ihres Vaters der Heimat beraubt, verheiratete sie sich schon als neunzehnjähriges Mädchen, und wechselte infolge häufiger Versetzungen verschiedentlich den Aufenthaltsort. Längere oder kürzere Zeit in Kassel, Köln, Berlin und Münster thätig, wurde ihr Mann als Regierungsrat nach Kassel zurückversetzt, überlebte aber die Freude, wieder in der lieben Heimat zu sein, nicht lange. Nach seinem 1893 erfolgten Tode zog seine Witwe mit ihren drei Kindern nach dem am Fuße des Kyffhäusers gelegenen Frankenhausen, ihren Kindern und dem erst in der Einsamkeit des Leids entdeckten Talente lebend. A. R. ist erst seit zwei Jahren schriftstellerisch thätig und hat bis jetzt außer einer kleinen Novelle »Der schöne Ede« in »Über Land und Meer« nur Lyrik geschrieben. In den verschiedensten Zeitschriften in der »Jugend«, »Illustrierten Welt«, »Velhagen & Klasings Monatsheften« etc. sind Gedichte von ihr veröffentlicht, auch ist im Organ der »Breslauer Dichterschule« schon manches Lied von ihr abgedruckt. Die erste Sammlung ihrer Gedichte, ein Bändchen von ca. 150 Gedichten wird bei G. A. Liebeskind in Leipzig erscheinen.
Der Gedichtband „Gedichte“ erschien zunächst 1898 bei G. A. Liebeskind und in späteren Auflagen bei Cotta in Stuttgart. Anna Ritter starb am 31. Oktober 1921 in Marburg.