Im Jahre 1607 kam es im Zuge einer Hinrichtung zu Ausschreitungen der Zellerfelder Bevölkerung
Besonders grausam war das Ende des Scharfrichters Siemon, als er am 21. November 1607 die beiden Bergleute Martin Weiß und Hyeronimus Christoph Peltz wegen Meuchelmordes zu enthaupten hatte und einen der Mörder auch nach fünf Hieben nicht zu töten vermochte. Wütende Bergleute lynchten ihn, schleppten seine Leiche auf die Gasse und zerhackten sie in Stücke. Dieses Verhalten wurde bestraft. Zwei der Bergleute wurden auf dem Marktplatz enthauptet, einer wurde gerädert und einige des Landes verwiesen.
Aufgabe des Scharfrichters war es von jeher, mit einem sicheren Hieb den Kopf vom Rumpf zu trennen oder den Strick so richtig zu schlingen, dass der Verurteilte kaum noch eine Bewegung machte. Das zu den bis Mitte des 19. Jahrhunderts öffentlich vollzogenen Hinrichtungen immer zahlreich erschienene Publikum erwartete, dass die blutigen Spektakel reibungslos vonstatten gingen. Lief es allerdings nicht so ab, konnte es passieren, dass das erschienene Volk auf die Barrikaden stieg und den Scharfrichter vom Schafott riss. Steine flogen dann auf die Blutbühne, die Knechte und der Meister wurden misshandelt, und so ereignete es sich beispielsweise zu Lübeck, dass im Jahre 1533 bei einer verfehlten Hinrichtung fünf Scharfrichter erschlagen wurden.
Über das Vorkommnis 1607 im Oberharz berichtete der Magister Albert Cuppius, der zwischen 1604 und 1629 eine Zellerfelder Chronik, den „Chronicon Zellerfeldense“, zu Ende brachte. 1754/55 kamen „Die Alterthümer des Harzes“ des Andreasberger Bergschreibers und ersten Bedienten auf der freien Bergstadt St. Andreasberg Rudolph Leopold Honemann (1704-1772) in vier Teilen heraus. Was Cuppius miterlebte, konnte nun einer breiten Öffentlichkeit mitgeteilt werden.
Die beiden Bergleute Martin Weiß und Hyeronimus Christoph Peltz hatten an dem Bergmann Franz Wisener einen Meuchelmord begangen und sollten enthauptet werden. Nach der Trauerpredigt von Albert Cuppius war Wisener „am 16. Sontage nach Trinitatis/ in einem Bierhauß zum Zellerfeld/ jemmerlich erschlagen/ vnd folgendes Diengstags zur Erden bestattet worden“. Der Bergmann Martin Weiß war nach Cuppius Chronik zuvor „Ehebruchs halber eine Zeitlang ausgetreten gewesen, und hernach durch den Berghauptmann Löhneysen wieder angenommen“. Beide Täter wurden verhaftet und waren nach dem von auswärts eingeholten Urteil zu enthaupten. Die später gedruckt herausgegebene Leichpredigt für Franz Wisener trug den Titel „Blutrache“ und verwendete Texte aus dem 9. Kapitel des ersten Buches Mose.
Löhneysen konnte kein Blut sehen
Bei der Hegung des peinlichen Halsgerichts, am 21. November, war auf dem Marktplatz ein „ungemein großer Zulauf“ von Berg- und anderen Leuten. Der frühere braunschweigische Stallmeister, seit 1596 aber als Berghauptmann und Chef des gesamten Berg- und Hüttenwesens im Harz dienende Georg Engelhard Löhneysen (1552-1622) wohnte zwar noch dem peinlichen Halsgericht mit bei, er verschwand aber, nachdem der Stab über den Delinquenten gebrochen war, weil er kein Blut sehen konnte.
Und was folgte, war in der Tat sehr blutig, mehr als blutig. Der Scharfrichter Siemon aus Denkershausen bei Northeim hieb zuerst dem Weiß glücklich das Haupt ab, aber dem Peltz hieb er in die Schulter. Die Zuschauer murrten, und der Scharfrichter wurde dadurch so ängstlich, dass er noch fünf Hiebe tun musste, ehe es ihm gelang, den Kopf herunterzubringen. Hierüber waren die Berg- und Hüttenleute so erzürnt, dass sie samt den Handwerksleuten mit dem Geschrei „Schlagt tot! Schlagt tot!“ auf den Scharfrichter eindrangen und sich seiner zu bemächtigen suchten. Meister Siemon machte sich aus dem Staube, aber ein Teil des Volkes zerriss den Mantel, den er zurückgelassen hatte und zerbrach das Richtschwert als Symbol staatlicher Gewalt „ganz in Stücke“. Ein anderer Teil verfolgte den Flüchtling durch das Rathaus bis auf die Frohnveste, der mit einer Marterkammer ausgestatteten Gefangenenanstalt, wo er sich in der Wächterstube einschloss. Die wütende Schar nahm eine Diele in der Wächterstube auf, zog den Scharfrichter unter einem Bett hervor, unter das er sich verkrochen hatte, und schlug ihn, obwohl er viel Geld bot, wenn man ihn leben lassen würde, auf der Stelle tot. Seinen Leichnam warfen die Rasenden durch das Fenster der Frohnveste auf die Straße, wo er mit Äxten, Barten, Hacken und dergleichen stückweise „zerhackt“ wurde.
Der Tumult wurde von Augenblick zu Augenblick größer, und man befürchtete mittlerweile, dass das wütende Volk die Häuser der wohlhabenden Bürger stürmen und plündern könnte und eine förmliche Revolution entstehen würde. Löhneysen glaubte, die Gemüter würden sich schon von selbst wieder besänftigen. Als aber eine bedenkliche Botschaft über die andere kam und er das Schreien und Toben der Menge vernahm, geriet er doch in Verlegenheit. Zufällig befand sich der Prediger Cuppius bei dem Berghauptmann und riet ihm, man möge die Leichname der armen Sünder feierlich und in Begleitung der Schüler begraben lassen. Löhneysen begegnete dem Vorschlag zunächst kritisch, ließ es aber so geschehen. Die Rechnung ging auf. Denn als der Prediger Cuppius samt seinem Amtsgehilfen Andreä und den Schülern auf dem Markt erschien, die Leichen aufgehoben und unter Gesang fortgetragen wurden, da wurde es still. Die Bergleute und alles Volk folgten dem Zug auf den Kirchhof nach, wo auch der zerstückelte Scharfrichter begraben wurde.
Löhneysen war froh, dass die Sache ein entspanntes Ende nahm, berichtete aber augenblicklich alles an den Landesherrn Herzog Heinrich Julius, der sogleich den Befehl gab, die Sache streng zu untersuchen und die Rädelsführer nach Seesen abzuführen.
Die damals angelegte Inquisitionsakte hat einen langen Weg zurückgelegt. Heute wird sie im Staatsarchiv Bückeburg mit der Findnummer L 1 Nr. 8852 archiviert.
Harte Strafen für die Aufrüher
Die Aufrührer wurden per Steckbrief gesucht. Als Hauptschuldige wurden ein Zimmergeselle und zwei Bergburschen festgestellt. Der Zimmergeselle wurde nach einem peinlichen Gerichtstag „zum Zellerfeld“ gerädert und aufs Rad geflochten, die beiden anderen auf dem Marktplatz enthauptet und ihre Köpfe beim Galgen auf Pfähle gesteckt und viele von den Minderschuldigen auf ewige Zeiten des Landes verwiesen. Andere steckbrieflich gesuchte Bergleute verließen den Harz.
Unter dem 4. Dezember 1607 erließ die herzogliche Regierung ein „Edict, wegen Vervest- und Verhafftnehmung einiger Berg-Purschen, ihrer an einen eben exequirenden Scharfrichter verübten Mordthat halber“: „Von Gottes Gaden, Wir Heinrich Julius, Postulirter Bischoff zu Halberstadt, und Hertzog zu Braunschweig und Lüneburg, etc. thun kund und fügen hiemit ... zuwissen, Welchergestald ... den 21. Nouembris auff unser Berckstadt Zellerfeld bey justficirung zwener ... vorsetzlicher Todschleger, Marten Weissen unnd Hyeronimi Peltz ... etzliche leichtfertige und muthwillige Berckburß ... einen gantz gefehrlichen weitaussehenden auffruhr angerichtet, in dem sie ... auff den Scharffrichter mit gewalt gedrungen ... Weil dan ... auffrürer und boßhafftiger Mörder ... nach verrichtung solcher ... Mörderischen that, alßbalt flüchtig worden, Als haben wir dieselbigen ... durch einen Rechtmeßigen bescheid ... dargestelt das sie als ... Mörder ... nicht geduldet oder gelitten, Sondern ... alsbald in hafft genommen, unnd zu ihrer verdienten straffe gebrach werden sollen ... Geben auff unsern Heuse Seesen, am 4. Decembris Anno 1607.“
Und wieder drei Tage später erschien eine herzogliche Verordnung, die gedruckt und angeschlagen wurde und in der mit Blick auf Artikel 97 der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls IV. von 1532 darauf hingewiesen wurde, dass vorgeschrieben war, „den Nachrichter und seine Knechte, vor und bey der Execution nicht zu hindern und abzuschrecken, noch auch, wenn es ihm gleich mißlingen solte, an Leib oder Leben wieder ihn was thätliches zu unternehmen“.
Scharfrichter standen in der Neuzeit gesellschaftlich weit über den Abdeckern und auch über den Meistern oder Henkern. Sie waren die scheu Gemiedenen, denen man respektvoll auswich, die abergläubisch Respektierten und Gefürchteten, denen geheimnisvolle Künste zugeschrieben wurden. Sie berührten niemals einen Verurteilten; sie enthaupteten nur mit dem Schwert beziehungsweise seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Richtbeil oder der Fallschwertmaschine.
Über die Akteure von 1607 ist noch Folgendes zu sagen: Im Jahre 1619 kam Berghauptmann Löhneysen aus unbekannten Ursachen bei Herzog Friedrich Ulrich in Ungnade und wurde seines Amtes enthoben. Er zog sich auf sein Gut Remlingen bei Wolfenbüttel zurück und starb dort am 1. Dezember 1622. Albert Cuppius, der im Dreißigjährigen Krieg schwer unter dem Tillyschen Kriegsvolk zu leiden hatte und aus seiner Wohnung fliehen musste, starb 1636 in Zellerfeld. In der Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen von 1689 finden wir einen letzten Hinweis auf das Scharfrichteramt in Denkershausen, das mit einer Kopfsteuer von anderthalb Mariengroschen und sechs Groschen zu Buche schlug: „Scharfrichter zu Denkershausen N. N. (1½ Mg.; 6 Gr.).“
Die letzte Hinrichtung wurde in Zellerfeld am 9. August 1850 an dem Bergmann Georg Carl Wagener aus Clausthal vollzogen. Wagener hatte nach Erkenntnis des Königlichen Schwurgerichtshofes zu Göttingen am 3. Juni 1849 auf dem Schwarzenberg dem Feldjäger August Schmidt aus Kamschlacken tödliche Schläge zugefügt. Der Todgeweihte wurde auf dem für ihn bereit gehaltenen Wagen in Begleitung zweier Geistlicher, Pastor Diaconus Heering aus Zellerfeld und Pastor Friedrich Armknecht aus Clausthal, unter dem Geläut der Armensünderglocke fesselfrei durch den Ort zu dem vor dem Schulenburger Holz neben der Chaussee auf der Trift errichteten Hochgericht gefahren. Etwa 15- bis 20000 Menschen riefen nach der Urteilsvollstreckung durch Scharfrichter Christian Schwarz (1793-1867) „Bravo!“