Grün und günstig reicht nicht mehr
Grün ist es auf dem Land, günstig auch, zumindest günstiger als in der Stadt. Doch reicht das, um die junge Generation am Abwandern zu hindern, um die Vitalität des ländlichen Raums zu erhalten? Bei weitem nicht - so das Fazit der Fachtagung an der Schule für Dorf- und Landentwicklung (SDL) in Thierhaupten. Gemeinsam mit der Bayerischen Verwaltung für Ländliche Entwicklung, der Bayerischen Architektenkammer und dem Bayerischen Gemeindetag veranstaltete die SDL zu diesem Thema eine Fachtagung, an der rund 70 Gäste aus der Kommunalarbeit teilnahmen.
„Wir müssen auf die veränderten Ansprüche von fünf Generationen reagieren. Die Werte der Bürger haben sich verändert, ihre Wünsche und Bedürfnisse sind heute weitaus differenzierter“, sagt Gerlinde Augustin, Geschäftsführerin der SDL. Seit über 20 Jahren begleitet die SDL ländliche Entwicklungsprojekte, bündelt Know-how und stellt Bürgermeistern, Gemeinderäten, und engagierten Bürgern das notwendige Bildungsangebot zur Verfügung.
Differenzierte Wünsche, komplexe Standortentscheidung
Rückgängige Einwohnerzahlen, fehlende Daseinsvorsorgeeinrichtungen, verwaiste Dorfkerne – dies sind nur einige der Herausforderungen, denen sich Kommunen im ländlichen Raum stellen müssen. „Die Werbung um junge Familien und Betriebe mit günstigem Baugrund in idyllischer Lage ist keine Lösung. Standortentscheidungen sind komplexer geworden“, betont Hans Dörr, Vizepräsident der Bayerischen Architektenkammer.
Ein starker Partner bei der Aktivierung der Potenziale im ländlichen Raum sind die Ämter für Ländliche Entwicklung. Diese fördern und begleiten sowohl Einzelprojekte als auch Integrierte Ländliche Entwicklungsprojekte (ILE), die gemeindeübergreifend wirken. Seit 2004 sind 64 solcher interkommunaler Projekte initiiert worden. „Das Wichtigste sind die Bürger. Wenn wir nahe an den Menschen arbeiten, dann werden die Projekte akzeptiert, dann ist die Effizienz am größten“, so Ministerialrat Wolfgang Ewald vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. „Die Leitbildentwicklung einer Kommune ist wichtiger denn je“, ergänzte in diesem Zusammenhang auch Dr. Franz Dirnberger vom Bayerischen Gemeindetag.
Bachhagel - Revitalisierung älterer Siedlungsgebiete
Zwei Beispiele aus der Region zeigen, wie Gemeinden ihre Entwicklung aktiv steuern können und so neue Perspektiven schaffen. Die Gemeinde Bachhagel, Ortsteil der Verwaltungsgemeinschaft Syrgenstein im Landkreis Dillingen, hat die Revitalisierung ihrer Siedlungsgebiete in Angriff genommen. Zum ersten Mal wurde damit in Bayern ein solches Projekt in ein Dorferneuerungsverfahren aufgenommen. „Je älter die Siedlungsgebiete sind, umso weniger Familien leben dort“, sagt Bürgermeisterin Ingrid Krämmel. „Hinzu kommt, dass Menschen heute ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Wohnen haben.“
Um ältere Wohngebiete wieder attraktiver zu gestalten, wurde die Grundinfrastruktur des Ortes stark ausgebaut. Ein kommunales Immobilienportal unterstützt die Bürger beim Kauf und Verkauf ihrer Häuser – rund 15 Immobilien wechseln so jährlich den Besitzer, erklärte Regionalentwickler Andreas Raab. Damit verbunden ist auch ein Beratungsangebot der Kommune, das über die Umnutzung von Immobilien berät. Eine große Herausforderung stellt in den nächsten Jahren stellt die Barrierefreiheit von Privathäusern und dem öffentlichen Raum dar.
Mittelneufnach – Gestalter der Energiewende
Das schwäbische Mittelneufnach hat die Wertschöpfung der Gemeinde ins Auge gefasst und will diese vor Ort erhalten. „Deshalb vollziehen wir den Rollenwandel vom Konsumenten zum Gestalter der Energiewende“, sagte Bürgermeisterin Cornelia Thümmel.
Das Energiekonzept setzt auf den Ausbau der Nahwärmeversorgung, erste Schritte sind bereits erfolgt: Eine Hackschnitzelanlage heizt einige benachbarte Gebäude, die ortsansässige Biogasanlage soll eingebunden werden und weitere Anschlüsse werden folgen. Darüber hinaus will Mittelneufnach mit Aktionen wie dem „Tag der offenen Heiztüre“ oder dem „Energiestammtisch“ Bürger informieren, einbinden und zu Energiesparmaßnahmen motivieren.
Kirchanschöring – Menschen gewinnen, bäuerlich bleiben
Einen ähnlichen Weg beschreitet auch die oberbayerische Gemeinde Kirchanschöring im Kreis Traunstein: Sie hat sich auf einer „Bauernkonferenz“ dafür ausgesprochen, die Wertschöpfung aus der Landwirtschaft und dem Nahrungsmittelhandwerk zurück ins Dorf bringen. „Das Gemeindeentwicklungskonzept ´Leben und Wirtschaften in Kirchanschöring´ bündelt die Vorstellungen der Bürger zu einem einheitlichen Handlungskonzept“, so Stephanie Grubwinkler, Vorstand der Identität und Image Coaching AG und Beraterin der Gemeinde bei der Strategieentwicklung und Projektumsetzung. Die Gemeinde will den Ortskern wieder beleben, einen verantwortlichen Umgang mit den Flächen erzielen und die bäuerlichen Familienstrukturen erhalten.
Ein erster Schritt wurde mit der Bewusstseinsbildung für gesunde Lebensmittel getan: Maßnahmen wie z.B. öffentliche Themen- und Infomarktplätze sowie die Gründung von Projektgruppen für die Eröffnung einer Regionalmarkthalle und die Umstellung von konventionellen auf biologischen Anbau wirken sich positiv auf das soziale Miteinander im Dorf aus.
Strategie entscheidet über Zukunft
„Für Kommunen im ländlichen Raum gibt es kein Patentrezept bei der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft. Diskussionen wie diese zeigen, wie wichtig es ist, Herausforderungen, Visionen und Ziele der Bürger aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten“, so Beatrix Drago von der Verwaltung für Ländliche Entwicklung. „Entscheidend ist die richtige Strategie und die Stärkung und die Mobilisierung der Eigenkräfte. Bei aller Individualität der Gemeinden in Bayern sind die interkommunale Zusammenarbeit sowie das Einbeziehen der Bürger in alle Entscheidungsprozesse maßgeblich für eine erfolgreiche Entwicklung.“
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(Text und Foto: Schule der Dorf- und Landentwicklung)