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Gegen die Zeit – oder dafür? Gegen die Vergangenheit mit viel Zukunft!

  • Ehrenpreisträger Ernst Grube und Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter
  • hochgeladen von Erich Neumann

Das NS-Dokumentationszentrum München am Max-Mannheimer-Platz 1 war am 25. Oktober denkbar bester Ort für die Preisverleihung der Stiftung Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen.
ausARTen – Perspektivwechsel durch Kunst: das Kunst- und Kulturfestival, eine Initiative des Münchner Forum für Islam e. V., war der hochverdiente Preisträger 2021 mit hoffentlich ganz viel Zukunft und Ernst Grube, der unermüdlich gegen das Vergessen Engagierte erhielt mit dem Ehrenpreis die ihm mehr als längst schon zustehende Würdigung.

Zwei gravierende Brennpunkte unserer Zeit hätten keine bessere Kombination finden können, als Migration im interkulturellen und -religiösen Ansatz von ausARTen positiv erlebbar zu machen und dem immer stärker aufkommenden Rechtsextremismus die Gräuel der NS-Zeit über Aufklärung insbesonders von Jugendlichen als nachdrückliche Mahnung zu dessen Eindämmung entgegen zu setzen!

Oberbürgermeister Dieter Reiter erinnerte sich, in seiner von spürbarer Empathie geprägten Rede, vor knapp fünf Jahren zum Abschied von Hildegard Hamm-Brücher in der Kirche St. Lukas am Mariannenplatz unter ihren ungeheuer zahlreichen Verdiensten natürlich auch die Stiftung Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen in seiner Trauerrede gewürdigt zu haben und zeichnete einfühlsam ein Bild dieser beeindruckenden Persönlichkeit.
Schon damals war ihm die Errichtung dieser Stiftung im Jahr 2010 wie eine vorweg genommene Antwort auf den Rechtspopulismus erschienen.
Beim Trauerakt für die Opfer des rassistischen Attentats am OEZ machte diese unfassbare Tat deutlich, wie sehr wir Stiftungen brauchen, die den Einsatz gegen antidemokratische Entwicklungen, Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus unterstützen.
Gefahren für die Demokratie entgegenzutreten, ist nicht nur das Thema der Stiftung und des heute zu vergebenen Preises, sondern auch des gesamten politischen Lebenswerks von Hildegard Hamm-Brücher. Als ihr im Jahr 1995 – als erster Frau – das Ehrenbürgerrecht der Landeshauptstadt München verliehen wurde, sprach sie von ihrem Ceterum Censeo – also dem, worauf sie als das Wichtigste immer und immer wieder zurückkam: der Frage, wie nach der nationalsozialistischen Diktatur der Aufbau eines – diesmal wetterfesten – demokratischen Hauses in Deutschland gelingen könnte. Sie wollte die richtigen Lehren aus der barbarischen nationalsozialistischen Vergangenheit ziehen. Das hatte auch den persönlichen Hintergrund, dass sie der Widerstand der Weißen Rose geprägt hatte. Die Geschwister Scholl kannte sie von Begegnungen im größeren Freundeskreis. Zwar war sie in die Flugblatt-Aktionen nicht eingeweiht, doch nach den Verhaftungen begann sich die Gestapo auch nach ihr zu erkundigen. Ihr Doktorvater, der Chemie-Nobelpreisträger Heinrich Wieland, hielt damals seine schützende Hand über sie. Zumal sie nach den Rassegesetzen der Nazis auch noch als Halbjüdin galt. Von Anfang an habe ich mein politisches Engagement am Vermächtnis des Opfertodes aller Widerstandskämpfer orientiert, sagte sie bei der Verleihung des Ehrenbürgerrechts. Ihr erstes politisches Mandat führte sie mit gerade 27 Jahren als jüngste Stadträtin ins Münchner Rathaus. Verjüngt den Stadtrat – wählt Hildegard Brücher, hatte damals – 1948 – auf ihren Wahlplakaten gestanden. Es passt also zu der zeitlebens jung Gebliebenen, dass sie 62 Jahre später bei der Errichtung ihrer Stiftung Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen besonders wichtigen Beitrag zur Stärkung der Demokratie zutraute und dass sie dafür einen Preis stiftete. Als Münchner Stadträtin machte sie von 1948 bis 1954 die Erfahrung, dass der Aufbau des demokratischen Gemeinwesens in den Rathäusern und die hohe Schule der Demokratie bei der kommunalen Selbstverwaltung beginnt, auch wenn sie ihre leidenschaftliche politische Wiederaufbauarbeit dann anschließend in die Landes- und Bundespolitik führte.
Dort wurde sie durch ihre aufrechte Haltung fern von jedem Opportunismus oder parteipolitischen Rücksichtnahmen zu einer besonders glaubwürdigen Vorkämpferin für die demokratische Entwicklung und die demokratische Streitkultur in Deutschland. Unvergessen ist zum Beispiel ihre persönliche Erklärung beim Regierungswechsel von 1982 über Helmut Schmidt und Helmut Kohl, der Eine habe es nicht verdient, ohne Wählervotum gestürzt zu werden und der Andere, ohne Wählervotum Kanzler zu werden.
Schließlich wurde sie auch zu einer überaus achtbaren Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl 1994. Sie war vielleicht die beste Bundespräsidentin, die Deutschland nie hatte, hieß es in einem der vielen von Respekt und Bewunderung erfüllten Nachrufe.
Auch ihr Herzensanliegen, die Gleichberechtigung der Frauen in der sich entwickelnden Bundesrepublik voranzubringen, war nicht von ihrem Lebensthema, der Stärkung der Demokratie, zu trennen. Denn ihr war deutlicher als anderen bewusst, dass eine Demokratie, in der nur die eine Hälfte der Bevölkerung wirklich etwas zu sagen hat, nicht lebensfähig ist. Weil sie Frauen in der Politik Mut gemacht und ihnen den Weg gebahnt hat, konnten andere dann in noch höhere Ämter aufsteigen als sie selbst. Mit ihr haben wir nicht nur eine Grande Dame der Politik verloren, sondern vor allem eine Grande Dame der Demokratie. Dass Politik und Demokratie im heutigen Deutschland ganz selbstverständlich zusammengehören, das ist Männern und Frauen wie ihr zu verdanken, die Pionierarbeit geleistet haben, um nach der Katastrophe des Dritten Reiches ein neues, unvergleichlich viel besseres Gemeinwesen zu schaffen. Ein demokratisches Gemeinwesen, das diesen Namen wirklich verdient und dadurch auch in der Lage ist, allen Angriffen und Gefahren standzuhalten. Gefahren, wie sie auch derzeit wieder bestehen. Die Sorge um die Wetterfestigkeit des demokratischen Hauses in Deutschland – den zweiten Teil ihres Ceterum Censeo – hat sie nun an die jüngeren Generationen weitergegeben. Ihre Botschaft, die auch in dem von ihr gestifteten Preis lebendig geblieben ist, heißt: Freiheit und Demokratie fallen uns nicht in den Schoß: sie hängen von der Bereitschaft jedes und jeder Einzelnen ab, sich einzubringen und einzumischen. Wir müssen jederzeit und mit aller Kraft demokratische Verantwortung übernehmen. Davon war das politische Lebenswerk von Hildegard Hamm-Brücher geprägt.
Die heutigen Preisträgerinnen und Preisträger, folgen ihr auf diesem Weg. Die Grande Dame unserer Demokratie hätte ihre Freude an ihnen gehabt

Schriftsteller und Filmemacher Prof. Björn Bicker sprühte geradezu über von Energie in seiner Laudatio auf ausARTen – Perspektivwechsel durch Kunst.
wow, was für eine Wahl, die sie da getroffen haben für diesen Preis! Als er gefragt wurde, die Laudatio zu halten, musste er nicht lange nachdenken, nicht eine Sekunde zögern, weil ihn schlagartig ein so mächtiges Gefühl der Dankbarkeit angefüllt hat, dass er nun endlich mal diesen wunderbaren Menschen, die seit gut sechs Jahren dieses fulminante ausARTen Festival kuratieren, organisieren, moderieren, verteidigen, am Leben halten, vollpumpen mit ihrer ganzen geballten Energie und Ressource und ihren Zweifeln und ihrer Expertise aus migrantischer, postmigrantischer, akademischer, religiöser, intellektueller, spiritueller, künstlerischer, architektonischer, musikalischer, sozialarbeiterischer, kultur- orient- islam- und kommunikationswissenschaftlicher Expertise, und das ist bei Weitem noch nicht Alles, diesen Menschen nun endlich mal öffentlich sagen zu dürfen, wie sehr er ihre Arbeit schätzt und bewundert. Mehr noch: dass vor Zeug*innen gesagt werden darf, vor sachkundigen und ebenso engagierten Zuhörer*innen, an diesem zentralen, maßgeblichen Ort unserer Stadtgesellschaft, dass Ihre Arbeit, Bemühen, Art sich für diese Gesellschaft zu engagieren, für diese Stadt, dass ihre Freundschaft, ja, um dieses große Wort gleich zu Anfang zu wagen, dass ihre Liebe für das was sie tun, für das an was sie glauben, nämlich an die verbindende Kraft
religiöser Erfahrung, an den lustvollen, notwendigen Einsatz der Vernunft und an die
horizonterweiternde, Begegnung stiftende, den Menschen befreiende Kraft der Kunst,
dass diese Liebe der Glutkern sein könnte, sein sollte, hoffentlich sein wird für eine
Gesellschaft, die sich Einigkeit, Recht und Freiheit für ihre Bürger*innen nicht nur an
Feiertagen und auf Parteitagen herbeisingt, sondern diese im alltäglichen Ringen um
ein friedliches und gerechtes Zusammenleben erstreitet, erkämpft und gestaltet.
Die Bedingungen für dieses Zusammenleben sind klar: wir sind ein superdiverses
Einwanderungsland mit einer unveränderbaren, knallharten Geschichte, der wir uns
jeden Tag neu stellen müssen. Das muss hier an diesem Ort nicht weiter ausgeführt werden. Wir haben es in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt mit einer Ansammlung
unendlich vieler Herkünfte, Communities, Religionen, Lebensvorstellungen, Geschichten, Sprachen, sexuellen Orientierungen, Träumen, Wünschen, Ängsten,
Erinnerungen und Hoffnungen zu tun. Die gute Nachricht: diese Superdiversity, diese
Vielfalt, diese herrliche, manchmal schmerzhafte, bisweilen brutale Kompliziertheit
geht nicht wieder weg! Die bleibt! Die weniger gute Nachricht: wir müssen noch viel
lernen, wir müssen lernen, wie das geht in so einer Gesellschaft mit dem Erinnern,
dem Gedenken, dem Beten, der Demokratie, wie kommen die einzelnen Communities,
Gruppen, Individuen zu ihrem Recht, wie finden wir trotz aller Diversität und
Unterschiede eine gemeinsame Erzählung davon, wer wir als Gesellschaft, als Stadt
sein wollen. Wir alle verfolgen tagtäglich all die identitätspolitischen
Auseinandersetzungen um Religion, Herkunft, Zugehörigkeit, Bildung, wir verfolgen
das in unserer Stadt, in unserem Land, auf der ganzen Welt.
Und im Kern geht es immer um die hinterhältige, erbarmungslose und beängstigende
Frage: wer gehört dazu und wer nicht.
Der Migrationswissenschaftler und Politikberater Aladin El Mafaalani hat in seinem
Buch Das Integrationsparadox sehr einleuchtend beschrieben, dass es unter dem
Gesichtspunkt eines möglichst gleichberechtigen Zusammenlebens ein gutes Zeichen
ist, dass wir nun all diese Debatten führen. In Zeiten in denen Frauen mit Kopftuch in
der Schule oder im Gericht allerhöchstens die Toiletten geputzt haben, musste man
über das Tragen eines Kopftuchs nicht debattieren. Die Zeiten haben sich geändert.
Heute werden junge muslimische Frauen in diesem Land Lehrer*innen, Richter*innen,
Ärzt*innen, Polizist’innen, Journalist*innen, Regisseurinnen, Kurator*innen. Und
natürlich beanspruchen sie Gleichberechtigung, Religionsfreiheit und Anerkennung
ihrer kulturellen wie religiösen Identität. Deshalb führen wir solche Debatten – sie sind
Ausdruck eines starken und logischen Anspruchs auf Gleichheit und Gerechtigkeit –
das ist es wohl, was sich hinter diesem etwas kolonialistisch anmutenden Begriff
Teilhabe verbirgt.
Und genau diese postmigrantische Wirklichkeit unserer Gesellschaft drückt sich in der
Arbeit des ausARTen Teams aus. Sie gestalten diese postmigrantische Gesellschaft – und zwar für uns Alle! Sie bieten Identifikation und Möglichkeitsräume. Sie empowern junge Menschen: sei mutig, nimm Teil, erhebe Deine Stimme, kämpfe für Deine Rechte! Du bist es wert! Ohne Dich sind wir nicht vollständig! Und wer einmal bei ausARTen zu Gast war, der weiß, wovon gesprochen wird. Prof. Bicker hat wirklich schon viele Festivals und Kulturveranstaltungen besucht in seinem Leben, aber nirgendwo ist er bisher mit so warmem Herzen, mit so inspiriertem Geist, mit so viel Zuversicht spät am Abend nach Hause gegangen. Das muss diese Liebe sein.
Das Ganze fing an mit einer Gesprächsreihe im Münchner Forum für Islam: Kritisch
denken. Unter diesem Titel gab es meist innermuslimische Debatten über kulturelle,
religiöse und politische Themen. Und weil den Unruhegeistern Hanan Salamaat und
Erkan Inan das irgendwann nicht mehr ausreichte, haben sie einfach mal eben ein
kleines Kunstfestival gegründet – ausARTen – Perspektivwechsel durch Kunst. Und
wo haben sie das gegründet? In der Moschee, klar, Erkan Inan würde sagen: in
unserer kleinen Hinterhofmoschee. Und in dieser von Imam Benjamin Idriz
gegründeten Moschee, dem Münchner Forum für Islam, herrschte und herrscht ein
inspirierender, offener, mutiger und wagemutiger Geist und das MFI wurde zur
logischen und notwendigen Heimat dieses Kultur- und Kunstfestivals. Und weil nicht
nur Hanaan und Erkan solche Unruhegeister sind, sondern das ganze Team, das sich
über die Jahre in seiner ganzen Unterschiedlichkeit gefunden hat, hat sich das Festival
wie von selbst fortwährend gewandelt und erweitert. Und ziemlich bald war klar, dass
es gar nicht anders gehen könne, als auch die jüdische Perspektive mit in das Festival
zu integrieren und die Macher*innen haben es halt so gemacht, wie es Menschen tun,
die ihr Herz am rechten Fleck tragen, sie sind einfach auf ihre jüdischen Nachbarn
zugegangen und haben sich getroffen und haben Veranstaltungen organisiert und
Gespräche und Feste und dann wurde auch eine junge Jüdin Mitglied im
Kurator*innenteam des Festivals (Achtung Perspektivwechsel!!!) und genau diese
intersektionale, übergreifende, vielfältige Perspektive, gründet sich in diesem großen
Gefühl, das ganz zu Beginn der Lobrede schon aufgerufen wurde: es ist die Liebe. Die
Liebe drückt sich aus in Netzwerken, Kontakten, in Vertrauen, in gemeinsamer Freude,
in Streit, Verlässlichkeit und Verantwortung. Verantwortung für meine Nachbar*in, für
meine Straße, mein Viertel, meine Stadt, mein Land.
Liebe Hanaan Salamat, Ikraam Chaar, Nabila Abdel Aziz, Sapir von Abel, Julia Ley, Waseem, also known as Achim Seeger, last but not least: lieber Erkan Inan, und das ist jetzt an alle Anwesenden gerichtet, eingeschlossen Politiker*innen, Entscheidungsträger*innen, Geldgeber*innen, Influencer*innen: es gibt in ganz München keinen verdammten Ort, der so vielfältig, intersektional, so hip, so urban und gleichzeitig so offen, so liebevoll, so umarmend, so herzerwärmend, niederschwellig, so klug und inspirierend ist wie das MFI während des ausARTen Festivals. Da ist Prof. Bicker nicht der Einzige, der das gemerkt hat. Ihr habt Kooperationsanfragen von sämtlichen wichtigen Kulturinstitutionen der Stadt, Lenbachhaus, Kammerspiele, Spielart Festival, um nur ein paar zu nennen. Ihr habt einen Ort geschaffen, an dem Themen wie Postkolonialismus, Schönheit, Postmigrantisches Leben, Hybridität, Antisemitismus, Identitätspolitik, Rassismus und Antirassismus so niederschwellig, so ohne Dünkel, so verbindend, so nah an den Menschen, so lustvoll verhandelt wird, wie nirgends sonst. Immer mit den Mitteln der Kunst. Ihr seid zum bundesweiten Magneten geworden für postmigrantische Künstlerinnen, Intellektuelle und Gläubige, die Lust haben, sich zu begegnen, die Lust haben, an dieser neuen Erzählung unseres Landes, unserer Stadt zu arbeiten. Und diese Erzählung muss zwangsläufig auch eine postsäkulare, eine in Teilen religiöse Erzählung sein. Und natürlich ist es kein Zufall, dass Ihr medial laut werdet, wenn in unserem Land muslimische gegen jüdische Menschen in Stellung gebracht werden sollen, wie zuletzt als dieser nie enden wollende Nahostkonflikt wieder aufflammte. In der gemeinsamen Erklärung jüdischer und muslimischer Gruppen „#Wirlassenunsnichttrennen“, habt Ihr klargestellt, dass es um das Verbindende geht, nicht um das Trennende. Denn das ist das Ergebnis Eurer Verbundenheit, Freundschaft, Liebe, Eurer jahrelangen Anstrengungen. Aber, liebe Anwesende, jetzt kommt der unangenehme Teil der Laudatio: von Liebe allein lässt sich nicht leben. Es ist ein absolutes Drama, als Freund mitansehen zu müssen, wie die Macher*innen des Festivals jedes Jahr aufs Neue, betteln und zittern, Anträge
schreiben und Sponsoren hinterherlaufen müssen, um diese Veranstaltungen auf die
Beine stellen zu können. Und das machen sie Alle neben ihren aufreibenden Jobs als
Journalist*innen, Architekt*innen, Logistiker, Lehrer*innen, Sozialarbeiter. Die Idee
des Festivals ist es, Räume zu öffnen, in denen sich Menschen über die Mittel von
Kunst und Kultur mit den Themen Vielfalt, Teilhabe und kulturelle Hybridität
auseinandersetzen können. Und zwar Menschen, die in den anderen
Kulturinstitutionen gar nicht und wenn, nur marginal vorkommen und mitmachen.
Gesellschaftliche Hierarchien werden hinterfragt und Besucher*innen begegnen sich
unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Hautfarbe, Sprache, religiösen oder
politischen Anschauungen sowie sexueller Orientierung auf Augenhöhe. Das tun sie
mitunter auch in Safe Spaces, in sicheren Räumen! Warum? Weil das nötig ist!
Es wird auf Podien diskutiert, Themen wie die Stellung der LGBTQI-Community in jüdischen und muslimischen Gemeinden, die Beziehung zwischen Science-Fiction Literatur und Religion oder wie sich eine lebendige Erinnerungskultur gestalten lässt.
Workshops zu Theater, Musik, kreativem Schreiben und Fotografie, um junge Menschen zu empowern und Kultur niedrigschwellig für unterschiedliche Menschen zugänglich zu machen.
Und das alles Entscheidende: die Menschen, die sonst Gäste sind, werden hier zu
Gastgeber*innen. Das ist die notwendige Umkehrung der Verhältnisse. Und um Gastgeber zu sein, braucht es die notwendigen Mittel. Dieses Festival, diese Leute sind Juwelen. Diese Juwelen brauchen, damit sie strahlen können, damit sie mit ihrem Glanz diese Stadt beleuchten und verändern, Raum, Geld und Unterstützung. Diese Ausstattung braucht es nachhaltig. Und stellen Sie sich vor: Der Mietvertrag des MFI läuft im nächsten Jahr aus. Das tut er tatsächlich. Dann gibt es diesen Raum nicht mehr. Und kein neuer ist in Sicht. Wie auch bei den Preisen. Die Innenstadt ohne MFI. Das ausARTen Festival ohne Heimat. Das würde bedeuten, Ihr könnt keine Gastgebe*innen mehr sein, Ihr wärt wieder abhängig vom Gutdünken anderer
Kulturinstitutionen, in denen Ihr erst wieder mühsam Raum und Verständnis schaffen müsst für das was Ihr tut. Das ist nicht vorstellbar. Das kann nicht sein. Liebes ausARTen Team. Gratulation zu diesem Preis! Ihr habt es Euch verdient: Der Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen! Für Euch!

Im Zuge der Preisverleihung nahm Oberbürgermeister Reiter den Ball der Finanzen auf und spielte ihn geschickt an den ebenfalls anwesenden Finanzverantwortlichen der Landeshauptstadt weiter, wird aber zweifelsohne selbst den Blick darauf behalten.

Mit Poetry Slam begann die frische Danksagung.
Musikalisch umrahmt wurde erstmals, wie die gesamte Veranstaltung von der auch bei ausARTen präsenten Band jisr.music.

Hausherrin Dr. Mirjam Zadoff eröffnete die Laudatio auf den Ehrenpreis für einen ganz besonderen Mann – einen Mann, dem dieses Haus, diese Stadt und dieses Land Vieles zu verdanken haben.
Ernst Grube erhält für sein unermüdliches gesellschaftliches Engagement den Ehrenpreis der Stiftung Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen. Dieser Preis zeichnet Menschen aus, die sich (Zitat) gegen undemokratische Strukturen, Organisationen und Entwicklungen auf ganz individuelle Weise zur Wehr setzen, die für Schwache eintreten, welche selbst keine Stimme haben, und die rechtsextremen Tendenzen entgegentreten. (Ende)
Gratulation von Herzen – denn, lieber, geschätzter Ernst Grube, Sie haben diese Auszeichnung in ganz besonderem Maße verdient!
Was für eine Lebensgeschichte! Am 13. Dezember 1932 wurde Ernst Grube in München geboren; seine Mutter kam aus einer strenggläubigen jüdischen Familie und war von Beruf Krankenschwester. Der Vater, Malermeister, evangelisch aufgewachsen – beide Eltern waren nun Kommunisten. In den 1930er Jahren lebte die Familie in einer Wohnung der jüdischen Gemeinde direkt neben der Hauptsynagoge in der Nähe des Stachus.. Nach deren erzwungenem Abriss im Juni 1938, kündigte die nationalsozialistische Verwaltung der Hauptstadt der Bewegung der Familie die Wohnung Doch der Vater wehrte sich, konnte sich, anders als die jüdischen Nachbarn, durchsetzen: Die Familie durfte bleiben, wenn auch unter schwierigsten Bedingungen. Die Bemühungen, eine neue Wohnung zu finden, blieben erfolglos. Als die Situation zunehmend schwieriger wurde – Wasser, Strom und Gas waren bereits abgeschaltet – brachten die verzweifelten Eltern ihre 3 Kinder, den beinahe 6-jährigen Ernst, seinen 8-jährigen Bruder Werner und seine gerade einmal 4 Monate (!) alte Schwester Ruth, noch vor dem Novemberpogrom 1938 im Jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße unter.
Die nächsten 4 Jahre mussten die Geschwister getrennt von den Eltern leben. Das Kinderheim war für die Geschwister angesichts der immer brutaler werdenden Ausgrenzung und Verfolgung der Jüdinnen und Juden dennoch ein sicherer Zufluchtsort. Wenn sie das Heim verließen, wurden sie allerdings von Nachbarskindern angepöbelt, als Judenschweine beschimpft.
Das Jüdische Kinderheim wurde nach einer weiteren Deportation im Frühjahr 1942 aufgelöst. Die verbliebenen 12 Kinder, darunter die Geschwister Grube, wurden ins sogenannte Judenlager in Milbertshofen und Berg am Laim gebracht; ab 1943 lebten sie wieder bei den Eltern, in ständig wechselnden Wohnungen. Da der nichtjüdische Vater sich weigerte, dem konstanten Druck nachzugeben, sich von der jüdischen Mutter scheiden zu lassen, blieben Ernst, seine Geschwister und seine Mutter als sog. Geltungsjuden lange von der Deportation verschont – bis zum Februar 1945. Damals wurde der 12-jährige Ernst zusammen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Das Überleben war die Ausnahme – Ernst Grube erlebte diese Ausnahme: Am 8. Mai wurde das Lager befreit – Ernst umarmte den ersten Rotarmisten, den er zu Gesicht bekam.
Zurück in München machte Ernst Grube eine Lehre zum Malermeister, holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach, wurde Berufsschullehrer. Er protestierte gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und engagierte sich politisch in der FDJ, der Gewerkschaft und der KPD. 1954 nahm er an einer Demonstration teil – es ging um Ladenschlusszeiten – und wurde verhaftet. Er verbrachte sieben Monate im Gefängnis. Wenige Jahre später wurde er wegen einer Flugblattaktion für die illegale KPD wieder verhaftet, wieder verurteilt. Diesmal verbrachte er neun Monate im Gefängnis – vier davon in Isolationshaft in einer Zelle, die kaum einen Meter breit war.
Anfang der 1970er Jahre erhielt er schließlich auch noch Berufsverbot. Bei einem Gespräch im Rathaus legte er seinen Judenstern auf den Tisch – das Berufsverbot wurde wenig später zurückgenommen. Die Nazis haben mich schon verhaftet und dann passiert dasselbe in der Republik Adenauers, so kommentiert Ernst Grube seine Erfahrungen.
Heute ist er Mitglied in zahlreichen Gremien von Erinnerungseinrichtungen, er ist Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau und Sprecher des Landesvorstands Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, einer Vereinigung, die unter dem Vorwurf des Linksextremismus vom Verfassungsschutz beobachtet wird und der vor Kurzem unter dem gleichen Vorwand die Gemeinnützigkeit entzogen worden war. 2010 war auch Ernst Grube namentlich als Linksextremist im Verfassungsschutzbericht erwähnt worden. Der Vorwurf: er nütze als Linksextremist seine Arbeit in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aus, um kommunistische Ziele zu propagieren. Ich erlebe im weiteren Sinn eine Form der Ausgrenzung, so kommentiert er selbst diese Groteske. Aus dem Bericht wurde er 2011 nach heftigem öffentlichem Protest wieder gestrichen.
Seit Jahrzehnten engagiert sich Ernst Grube für eine lebendige Erinnerungskultur. Sein großes Anliegen ist ihm die persönliche Begegnung. Unermüdlich erzählt er in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen von seiner Lebensgeschichte und seinen Verfolgungserfahrungen, um die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach zu halten.
Und wir könnten keinen besseren Lehrer für unsere Kinder haben – und für uns selbst. Denn von Ernst Grube lernen wir Etwas, das rar und selten ist: er macht uns aufmerksam auf die Bedeutung und Relevanz des Vergangenen für ein solidarisches Zusammenleben im Heute und in der Zukunft.
Es waren Überlebende wie er, die ungeachtet ihrer Traumata und Verletzungen, nach 1945 widerständig ihre Geschichten erzählten – widerständig, da Keiner Ihnen zuhörte. An zentralen Stellen der Nachkriegs-BRD saßen weiterhin die damals noch gar nicht so alten Nazis – während die Überlebenden um Anerkennung, um Wiedergutmachung, um einen Platz in dieser Gesellschaft kämpfen mussten, und im Fall der Kommunist*innen unter ihnen, auch gegen die Ausgrenzung als Folge der Logik des kalten Krieges.
Ernst Grubes klare Positionierung gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und gegen jede Form von Ausgrenzung, Krieg und Gewalt, lehrt uns, dass Erinnerung auch heute noch widerständig sein muss, wenn sie nicht zum sinnentleerten nie wieder geraten will.
Denn wenn das passiert, wenn Kränze niedergelegt und Betroffenheit vorgegeben werden, aber in den Parlamenten voll Härte entschieden wird, Menschen auf der Flucht an den Grenzen Europas zum Tod zu verurteilen, dann meldet Ernst Grube sich zu Wort, und (Zitat): Da reden wir von Menschenrechten und gestatten es doch, dass sie auf allen Ebenen verletzt werden. (Ende)
Bescheiden, mutig, politisch klar geht es ihm immer um gesellschaftliche Solidarität. Nach den Anschlägen auf die Synagoge von Halle vor zwei Jahren forderte Grube, der Staat müsse härter durchgreifen, um rechtsextremes Denken und Handeln aufzuhalten, denn (Zitat) Der rechte Terror betrifft ja nicht nur uns Juden, er betrifft ja auch Muslime, Sinti und Roma, Zugewanderte, die längst Staatsbürger sind, Migranten, Flüchtlinge, um nur einige zu nennen. Und demokratisch Aktive aus allen Spektren. Wenn ich dann höre, dass sich Flüchtlinge oder auch hier geborene Menschen mit muslimischem Hintergrund in Sachsen zum Teil nicht mehr trauen, ihre Kinder auf Spielplätze zu schicken oder nachts auf die Straße zu gehen, das bedrückt mich schon sehr. (Ende)
Es ist dieser Idealismus, der Ernst Grube einreiht in die Tradition der jüdischen Revolutionäre des 20. Jahrhunderts – mit ihnen verbindet ihn die Überzeugung, dass die Welt durch solidarisches Handeln gerettet werden kann – auch wenn man selbst die schlimmsten Verletzungen erlebt hat.
Vor zehn Jahren, im November 2011 besuchten Ernst Grube und seine Frau jene Orte, an die Münchner Juden deportiert wurden. Sie reisten ins ehemalige KZ Theresienstadt und nach Piaski in Polen, wo Ernsts Tante Rosa ermordet wurde. Die letzte Station der emotional aufwühlenden Reise war Kaunas – der Ort, an dem Ernsts Freundin Anita und die anderen Kinder aus dem Heim in der Antonienstraße ermordet wurden.
Wenn Ernst Grube sich mit Schülerinnen und Schülern trifft – hier im Haus im Seminarraum im 5. Stock, oder wie seit einiger Zeit auch digital – lässt er sich diese großen Verwundungen nicht anmerken: fröhlich und zugewandt geht er auf junge Menschen zu; immer neugierig, immer offen für neue Wege, das Vergangene mit dem Heute zu verknüpfen – seien es volumetrische Interviews und VR-Brillen oder Tanztheater-Projekte von Jugendlichen, die seine Geschichte und seine Person in ihre Mitte nehmen.
Über diese besondere Seite seiner Persönlichkeit, über die beeindruckenden Erfahrungen der jüngeren Generation in Zeitzeugengesprächen, berichtet im zweiten Teil Dr. Thomas Rink aus langjähriger Zusammenarbeit.
Ich fand es schön, dass Herr Grube da war, und würde gerne mehr über seine Geschichte erfahren. So neugierig blickt ein neunjähriger Junge nach einem zweistündigen Zeitzeugengespräch auf die Person Ernst Grube.
Heute Abend haben wir die besondere Möglichkeit, etwas genauer hinzuschauen. Wer ist dieser Mann, den wir heute Abend ehren? Nachdem Vorrednerin Dr. Mirjam Zadoff bereits die Lebensgeschichte näher vorgestellt hat, steht nun die Annäherung an diese Frage insbesonders vor dem Hintergrund der zahlreichen Zeitzeugengespräche, die im NS-Dokumentationszentrum geführt wurden – und zur großen Freude weiterhin geführt werden!
Wer einmal die Gelegenheit hatte, Ernst Grube in einem Zeitzeugengespräch zu erleben, wird ihn und seine Erzählung nicht mehr vergessen! Schülerinnen und Schüler erwarten angesichts seiner persönlichen Erfahrungen mit nationalsozialistischer Verfolgung oft auf eine andere Person als ihn zu treffen, – das verdeutlicht z. B. die Reaktion einer Schülerin (Zitat): den Herrn Grube habe ich mir anders vorgestellt. Irgendwie trauriger. Weil er doch so viel mitmachen musste. (Ende)
Ernst Grube verstehst die Gespräche mit Schulklassen und anderen Gruppen als Teil seiner politischen Arbeit. Die persönliche Begegnung ist ihm ein großes Anliegen. Schülerinnen und Schüler reagieren oftmals ungläubig, wenn sie hören, dass er nicht zur Schule und ins Kino gehen und auch keinem Sportverein angehören durfte. Immer wieder kommt die Frage, ob er überhaupt Freunde hatte? Und, wie bereits erwähnt, wie der Alltag im Nationalsozialismus für ihn aussah, wie es für ihn war, ohne Wasser, Strom und Gas leben zu müssen?
Heutige Schülerinnen und Schüler fragen auch neugierig nach, wie der Alltag im Heim ausgesehen hat. Ernst Grube spricht dann vom Antonienheim als einem Ort, an den er überwiegend positive Erinnerungen habe. Dort lernte er jüdisches Leben näher kennen und berichtet mit Begeisterung, wie die jüdischen Feiertage begangen wurden. Manchmal bringt er sogar einen Chanukka Leuchter mit zu den Gesprächen und zündet Kerzen an. Doch zu dieser Zeit gehört auch die folgende äußerst schmerzhafte Erinnerung: in den frühen Morgenstunden des 20. November 1941 verfrachteten die Nationalsozialisten 998 Münchner Jüdinnen und Juden in einen Zug und deportierten sie nach Kaunas im besetzten Litauen. Unter ihnen waren auch 23 Kinder aus dem Jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße. So erinnert sich Ernst Grube an den Abschied von seinen Freundinnen und Freunden (Zitat): Da haben wir gespürt: unsere Gemeinschaft ist jetzt zerstört. Ich erinnere mich vor Allem noch an die Verzweiflung. Die Betreuer haben natürlich versucht, die Kinder zu beruhigen, ihnen gesagt, das werde schon nicht so schlimm, aber dann flossen die Tränen. Ich sehe uns da noch im ersten Stock stehen, die Freunde, die deportiert werden sollten, bekamen noch ein Lunchpaket. Das war der Punkt, wo mir die Härte des Nazi-Regimes zum ersten Mal wirklich bewusst wurde. Und natürlich haben wir uns gefragt: werden wir uns wiedersehen? (Ende) Die Antwort auf diese Frage hat Ernst Grube erst nach dem Krieg erhalten: alle Kinder wurden wie alle anderen Deportierten fünf Tage später in Kaunas ermordet. An den 80. Jahrestag dieser ersten Deportation Münchner Jüdinnen und Juden erinnert sich die Landeshauptstadt im November diesen Jahres mit mehreren Veranstaltungen.
Mit großer Geduld und bleibender Offenheit Ernst Grube die für ihn oftmals aufwühlenden Fragen. Zugleich geht es ihm aber auch darum, mit den jungen Menschen über die gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel darüber, wie er – gerade auf Grund seiner Erfahrungen – das Erstarken von Rechtsextremismus und Antisemitismus heute wahrnimmt. Denn: erinnern allein reicht nicht, wie er immer wieder betont. Es geht ihm darum, sich einzumischen und Gesicht zu zeigen. Sei es auf Anti-Pegida-Demonstrationen oder wenn er mit unmissverständlicher Klarheit sein Unverständnis gegenüber der oftmals unmenschlichen heutigen Flüchtlingspolitik artikuliert: (Zitat) Dürfen wir zulassen, dass Menschen, die Furchtbares erlebt haben, hilflos in Elend und Krieg zurückgeschickt werden? Ich bin überzeugt, dass wir in unserem Land ein waches, gegenüber Unrecht empfindliches Gespür und Bewusstsein brauchen, um als Demokratie zu bestehen. (Ende) Wer Ernst Grube und seine klare politische Haltung erlebt hat, kann sich unschwer vorstellen, dass die Gespräche einen nachhaltigen Eindruck bei den Jugendlichen hinterlassen. Sicher auch deshalb, weil er vermeidet, was Jugendliche überhaupt nicht mögen: er vermittelt seine Positionen nicht belehrend oder mit erhobenem Zeigefinger. Es liege an jedem Einzelnen, welche Schlüsse er oder sie aus den Gesprächen zieht. Abschließend noch ein Aspekt, der für Ernst Grube mehr noch als für uns Alle eine besondere Herausforderung war und noch ist. Die Corona-Pandemie hat ihn von heute auf morgen der persönlichen Begegnungen mit Menschen fast vollständig beraubt. Sein Radius war auf Regensburg, seinen Wohnort, beschränkt. Die Gespräche als Zeitzeuge fielen zunächst komplett weg, alle Anfragen von Gruppen mussten enttäuscht werden. Unterstützt und begleitet von seiner Frau, Helga Hanusa, hast er sich bald schon der Herausforderung, Gruppengespräche ins Digitale zu verlagern, mit bewundernswerter Neugier gestellt und dabei große Flexibilität gezeigt: Zoom kennengelernt und inzwischen wurden etliche digitale Zeitzeugengespräche geführt. Diesen kannst Ernst Grube inzwischen sogar positive Aspekte abgewinnen. So stellt er fest, dass das Interesse der Teilnehmenden nicht geringer ist, die Schülerinnen und Schüler zum Teil sogar offener sind und sich eher trauen, ihre Fragen zu stellen. Die digitale Welt kann den persönlichen Kontakt jedoch nicht ersetzen, wie es eine Schülerin auf den Punkt bringt: schade, dass wir Ernst Grube nur auf dem Bildschirm kennenlernen durften. Ich hätte ihn gerne persönlich getroffen. So bleibt die Hoffnung, dass die Zeitzeugengespräche möglichst bald wieder im NS-Dokumentationszentrum durchgeführt werden können.
Der Ehrenpreis der Stiftung Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen ehrt Personen, die sich gegen undemokratische Strukturen, Organisationen und Entwicklungen auf ganz individuelle Weise zur Wehr setzen, die für Schwache eintreten, welche selbst keine Stimme haben, und die rechtsextremen Tendenzen entgegentreten, Klingt doch, als wäre dieser Preis genau für Ernst Grube ausgelobt worden, oder? Freude jedenfalls mit den hier Anwesenden von Herzen, dass Ernst Grube diese Auszeichnung heute verliehen wird. Er hat sie mehr als verdient! Alles Liebe und weiterhin viel Kraft für seine unschätzbare Arbeit. Hab´ Dank dafür!

Anhaltende Standing Ovations rührten den Geehrten sichtlich, ehe er seinen Dank in Worte fasste.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter, liebe Frau Zadoff, lieber Thomas, liebe Jury Mitglieder, liebe Gäste, ich danke Ihnen für die Verleihung des Bürgerpreises für Demokratie – gegen Vergessen. Sie anerkennen damit meine Tätigkeit im Bereich der Erinnerungsarbeit als wichtigen, lebendigen Bestandteil demokratischen Lebens. Geehrt sind dadurch auch all diejenigen Menschen, mit deren Unterstützung und mit denen zusammen ich diese Erinnerungsarbeit mache. Erinnerungskultur, wie heute Aufklärung über die NS-Verbrechen genannt wird, war und ist eine sehr anstrengende aber notwendige Aufgabe. Die Shoah und der beispiellose Raub- und Vernichtungskrieg von Nazi-Deutschland im Osten, gegen die Sowjetunion, der die Shoah erst ermöglicht hat. Diese Verbrechen waren lange Zeit tabu, ebenso der Widerstand gegen das NS-Regime.
Die Bewusstmachung der größten Menschheitsverbrechen und deren Folgen für unser aktuelles gesellschaftspolitisches Handeln ist nach wie vor umkämpft. Wenn ich zurück denke an meine Erlebnisse in den Jahren1949/1950 so trauerten die meisten Bürger*innen damals eher der Nazizeit und dem verlorenen Krieg nach. Von den Verbrechen der Nazis gegen uns Juden, gegen politisch Widerständige, die in den KZs eingesperrt und gefoltert worden waren, wollten sie nichts wissen. Kommunisten und anderen aktiven Antifaschisten wurde von der die Verbrechen beschweigenden Mehrheit und ihren Eliten ein berechtigtes Interesse abgesprochen. Die aktiven Antifaschisten setzten sich für eine Gesellschaft gemäß den Potsdamer Beschlüssen ein, in der nicht die Förderer und Profiteure von Faschismus und Krieg weiter bestimmenden Einfluss haben sollten. Als Kriegs- und Atomwaffengegner haben sie sich gegen den Aufbau eines neuen Militärs gewehrt, in der die ehemaligen Generäle der faschistischen Wehrmacht das Sagen hatten. Sie haben die Wiederkehr ehemaliger Nazis in ihre alten Funktionen bekämpft, und oft haben sie dafür wie ich Gefängnishaft und gesellschaftliche Ächtung riskiert. Unsere Verfolgungserfahrungen, unsere Verletzungen und Verluste zählten nicht, bestenfalls waren sie anstößig. Darüber sprachen wir nur in kleinen Kreisen, unter uns. Geehrt wurde damals Niemand aus unseren Reihen. Über mehrere Jahrzehnte hat sich diese Situation nicht geändert. Im Gegenteil: die KPD wurde verboten. Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) sollte 1962 verboten werden, was jedoch nicht gelang. Der beklagte Vertreter der VVN machte zur Eröffnung des Prozesses bekannt, dass der zuständige Senatspräsident Prof. Dr. Werner ein leidenschaftlicher Nazi, früh bei der SA und dann bei der NSDAP organisiert war. Das internationale Renommee spielte eine Rolle, so wurde dieser Prozess abgebrochen. Der Vorwurf, dass die Kommunisten keine Demokraten seien, ist bis heute geblieben. Das hat mir beinahe den beruflichen Weg als Lehrer versperrt. Die VVN-BdA wird immer noch in ihrer Aktivität verleumdet und eingeschränkt. Der Verfassungsschutz beobachtet die VVN, in Bayern ist ihr nach wie vor die Gemeinnützigkeit genommen. Inzwischen ist das, Jahrzehnte dauernde Ringen um die Errichtung von dauerhaften Aufklärungsorten wie des Jugendgästehauses in Dachau, heute Max- Mannheimer – Studienzentrum oder auch des NS-Dokumentationszentrum selbst schon Geschichte. Anfang der 80ziger Jahre haben ehemalige Häftlinge wie z.B. Otto Kohlhofer, Eugen Kessler, Adi Maislinger, Herrmann Langbein, Nicolaus Lehner, Marie Luise Jahn, Max Mannheimer ...und ich begonnen internationale Jugendbegegnungen – u. A. in Form von Zeltlagern – durchzuführen. 1981 bildeten wir eine Initiativgruppe für die Errichtung einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte Dachau. Wir ehemals Verfolgten wollten unsere Erfahrungen weitergeben und das in einem Treffen tun, das durch seinen internationalen Charakter schon selbst ein Stück Programm war: das Zusammenkommen von jungen Menschen aus Ländern, die von Faschismus und Krieg angegriffen worden waren und deren Bevölkerung unter den Verbrechen noch immer leidet. Nie wieder sollten Nationalismus und Militarismus, Antisemitismus und Rassismus Menschen gegeneinander aufbringen und sie zu Tätern an anderen Menschen und Völkern machen. Doch als Zeltlager – ohne Unterstützung durch die Stadt Dachau, den Landkreis oder staatliche Stellen – war das immer ein Provisorium. Oft wussten wir erst in letzter Minute, wo die Zelte für die jugendlichen Teilnehmer aufgeschlagen werden konnten, weil uns kein Platz zur Verfügung stand. 1984 gründeten wir den Förderverein Internationale Jugendbegegnungsstätte Dachau. Dieses Vorhaben, das zum Teil breite Unterstützung fand, stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand der Dachauer CSU, die im Stadtrat das Vorhaben ablehnte. 1986 konstituierte sich daher ein Kuratorium mit prominenten Persönlichkeiten. Unter Ihnen war auch Frau Hamm-Brücher, die mit ihrer souveränen, unerschrockenen Art und mit Tatkraft unser Vorhaben gegen solche Blockaden mit vorangebracht hat. So kam ich damals mit ihr, der Stifterin dieses Preises, zusammen. Aus jüdischen familiären Zusammenhängen kommend, hatte sie selbst Verfolgung und Bedrohung erlebt. Sie war in lockerem Kontakt mit Studierenden um die Weiße Rose gewesen. Angesichts rasant wachsender ökonomischer Ungleichheit heute in unserem Land und weltweit, angesichts von Ausbeutung von Mensch und Natur in einem nie da gewesenen Ausmaß, von gigantischer Aufrüstung und verheerenden Kriegen, so dass zur Zeit über 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, erinnere ich an eine Aussage aus dem 5. Flugblatt der Weißen Rose: jedes Volk, jeder einzelne hat ein Recht auf die Güter dieser Erde. Ich danke Ihnen für diese Preisverleihung!

Erich Neumann, freier investigativer Journalist www.cmp-medien.de
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Medienunternehmer im Gesundheits- und Justizbereich
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© Bild: www.cmp-Medien.de CC – das noch leere Podium im Münchner NS-Dokumentationszentrum
© Bild: www.cmp-Medien.de CC – Begrüßung durch Hausherrin Dr. Mirjam Zadoff und letzter Redefeinschliff von OB Dieter Reiter
© Bild: www.cmp-Medien.de CC – Rede des Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter
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