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Wie’s dem vierten heiligen Dreikönig erging.

Wie’s dem vierten heiligen Dreikönig erging.
(nach einer russischen Legende)

Sie hatten an allen vier Enden der Erde
Erfahren, dass Christus geboren werde.
Ein Stern war erschienen in seliger Nacht;
Da hatten sie sich auf den Weg gemacht.
Herr Kasper kam aus dem Abendland,
Herr Malcher quer durch den Wüstensand,
Herr Baltes von hinter dem persischen Reich,
und der vierte – wie hießen sie ihn denn gleich?
Ich glaube, der hatte noch keinen Namen –
Deswegen nannten sie ihn: Herr Amen.
Weil er als letzter erschienen war.
Man munkelte freilich, ihn schickt der Zar
Von Mitternacht her aus der eisigen Taiga:
Und er trug tatsächlich auch eine Nagaika.

Drauf knien sie hin in den Sternenschein
Und zeigten sich ihre Geschenke fein
Fürs’s neugebor’ne Erlöserlein.
Das rötliche Gold tät im Kästchen klirren,
auf Silber lagen die köstlichen Myrrhen,
Süßduftender Weihrauch wolkte hervor
Aus Ambragefäßen zum Himmel empor.
Herr Amen griff in seine Gürtelzier,
da rollten drei leuchtende Steine herfür,
die funkelten gleißend im Glitzerglanz
und warfen allrings einen Strahlenkranz.

Die anderen drei Herren, sie staunten und schielten
Und taten, als ob sie Beleidigte spielten.
Sie packten Gold, Weihrauch und Myrrhen ein
Und eilten und ließen Herrn Amen allein.
Der wunderte sich und konnte nicht fassen,
warum sie ihn haben sitzen lassen.
Doch weil er den Stern noch von weitem sah,
ritt er ihnen nach, nur nicht zu nah.

Grad wollte er dort stadteinwärts biegen,
da sah er im Graben ein Kindlein liegen,
das blutete stark aus fünf tiefen Wunden.
Gleich dankte er Gott, dass er’s hatte gefunden.
Stieg ab und hob es zu sich hinauf
Und eilte zurück in jegendem Lauf
Ins Haus, allwo er die letzte Nacht
In erquickendem Schlummer hatte verbracht.
Er holte den Wirt und sagte geschwind:
„Erbarme, erbarm dich über das Kind
Und nimm dir zum Lohn den glitzernden Stein,
und komm ich zurück, kehr ich wiederum ein!“

Als er dann draußt nach den anderen sah,
da waren sie fort, auch der Stern war nicht da.
Da sprach er zu sich: „s ist schlecht bestellt,
ich komme zu spät zum Heiland der Welt!
Indes, man durfte nicht liegen lassen
Das blutende Kind im Staube der Straßen!“

So sinnend kam er ans Stadttorhaus;
Da trugen sie einen Toten heraus.
Die Witwe und eine Kinderschar
In Schmerz um den Sarg versammelt war.
Und neben ihm ritt ein reicher Gesell,
der sprach zu dem Träger: „Beeilt euch! Schnell!
Und wenn sie sich gar die Haare raufen,
ich werde sie alle als Sklaven verkaufen!
Der Mann hatte Schulden wie Sand am Meer!
Ich hab es jetzt satt! Kein Mitleid mehr!“

Herr Amen stellte sich mit an das Grab:
„Dieweil ich den einen der Steine vergab,
soll nun auch der zweite vergeben sein!
Komm Weib, und nimm und gebrauche ihn fein!
Bezahlt Eure Schulden, kauf Haus, Hof und Land
Und lenk deine Kinder mit zärtlicher Hand!“

Drauf ritt er von dannen und spähte umher,
ob der Stern denn nirgends zu sehen wär’.
Doch er war nicht zu sehn, und die finstere Nacht
Hat Herr Amen bisweilen verzweifelt gemacht;
Denn wieder und wieder befragte er sich,
warum er nicht denen drei anderen glich.
Die zogen vorbei an des Kindes Not;
Es berührte sie nicht des Schuldners Tod;
Sie besaßen auch ihre Geschenke alle
Fürs Erlöserlein in Bethlehems Stalle.
Ihm aber war für den Knaben, den lieben,
nur noch ein einziger Stein geblieben!“

Herr Amen schob diesen letzten Stein
Ganz tief in den untersten Gürtel hinein,
und sollte er noch so viel Mitleid verspüren,
den wollte er nimmer und nimmer anrühren!
Und er ritt in ohne Ziel und ganz allein
Und ritt in ein fremdes Land hinein.
Dort wütete Krieg, und Blut und Leid
Bedeckten die Erde und Herzen weit.
Er kam in ein Dorf, dass ließ ihn erschauern:
Da trieben Soldaten die elenden Bauern
Zusammen und wollten trotz Zetern und Zagen
Am Platz vor der Kirche sie alle erschlagen.
Die Weiber wollten sie schinden und schänden,
die Kinder sollten im Feuer verenden.
Da griff Herr Amen mit zittriger Hand
Hinab in des Gürtels untersten Rand
Und langte den Stein dem Hauptmanne hin.
Der ließ die Bauern von dannen ziehn.-
‚s war eine Minute voll Herzeleid –
Und er hatte das Dorf von den Würgern befreit.

In der folgenden Nacht, als er köstlich schlief,
auf der Straße einer um Hilfe rief.
Er trat hinaus und fragte den Mann,
ob einer ihm ein Leids getan.
Der aber schlug ihm frech ins Gesicht
Und sagte: Mir langts, mehr brauche ich nicht!“
Ein anderer hatte den Stall gefunden
Und war mit Herrn Amens Reittier verschwunden.

Nun bettelte er im Land umher
Und gelangte nach vielen Wochen ans Meer.
Und weil er nicht wusste, wo aus und wo ein,
beschloss er, inskünftig Lastträger zu sein.
Lastträger, die machen zwar sauere Mienen,
Doch können ganz leidliche Groschen verdienen.
Drum ging er zum Hafen, da standen zwei Juden,
die Frachten auf eine Galeere verluden;
und neben ihnen in eisernen Spangen
ein Mann, der hatte Frevel begangen;
er sollte als Sträfling auf die Galeere,
ans Ruder geschmiedet, von Meere zu Meere.
Die Frau brach zusammen in bitterem Harm,
die Kinder schrieen, dass Gott erbarm.

Herr Amen dachte: Verlor ich den Stern,
so find ich auch nimmer den göttlichen Herrn.
Und fänd ich ihn dennoch, ich habe nichts mehr
Die Steine vergab ich, mein Gürtel ist leer.
Was soll mir die Freiheit, was sollmir dies Leben!
Ich will es dem sträflichen Manne geben!-
Er stellte sich hin und sprach zu den Juden,
die immer noch ihre Galeere beluden:
„Nehmt mich für diesen, und lasst ihn frei!“
Sie prüften ihn kurz und sagten: „Es sei!
Sieführten ihn in den Schiffsrumpf hinab,
da dünkte es ihn, als stieg er ins Grab.
Kaum dass sie ihm die Spangen vernietet,
ward er ans eichene Ruder geschmiedet.

So fuhr er durch Stürme und Wettergebraus
Auf alle gefährlichen Meere hinaus.
Er zählte nicht mehr die Tage, die Jahre,
die Ruderbank schien ihm die Totenbahre.
Er wars zufrieden und haderte nicht.
Sein Haar ward weiß; er tat seine Pflicht.
Nur manchmal fiel ihm die Frage ein:
Was spräche wohl jetz das Erlöserlein,
wenns neben ihm säß auf der Ruderbank? –
Doch es sitzt nicht da! Dem Himmel sei Dank!

Und wieder krochen die Jahre dahin.
Da sagten die Juden: „s hat keinen Sinn!
Der Mann ist zu alt, wir booeten ihn aus,
hinüber ins elende Fischerhaus!“
Die Fischer meinten: Was soll uns der Mann,
der Netze nicht flicken und fischen kann?
Doch eine Nacht das Gastrecht gebot;
So schlief er bei ihnen im Fischerboot.

In dieser Nacht nun ist es geschehn,
Da sah er den Stern wieder vor sich stehn,
der einstens, als er noch Jüngling war,
ihn gerufen hatte ins Gnadenjahr.
Und als der Morgen dann aufgeblaut
Und er wieder hin auf den Himmel schaut,
winkt ihm der Stern; und er folgt seinem Winken
und sieht bald goldene Kuppeln aufblinken.
Er freut sich und grüßte die geschäftige Stadt,
wo jedermann Eile, doch Weile nicht hat.
Die Menschen drängen den Berg hinan
Und schreien, was er nicht verstehen kann.

Da sieht er am Berg ein Kreuz aufgetragen
Und hört des Gekreuzigten Flehen und Klagen.
Hoch über dem Kreuz steht wieder der Stern
Da bricht er zusammen zu Füßen des Herrn.
Auf einmal fallen drei Tropfen Blut
Ihm still in die Hand von leuchtender Glut,
die funkeln und strahlen wie Edelstein,
und er denkt: „Das muss der Erlöser sein!
Und er betet: „O Herr, du kennst meinen Namen
Bin immer zuletzt! Ich heiße halt Amen!“

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14 Kommentare

Gefällt mir sehr gut

Als guter Engel durch das Land,
gehst zu heilen und zu stillen
Mit rast und ruheloser Hand,
Wo noch des KummersTränen quillen.

Eine interessante Geschichte.. kannte ich noch nicht

Ich kannte die Legende, aber ich habe sie noch nie in Versen gesehen.

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