Nur 36 Stunden nach Veröffentlichung der Vorabmeldungen zu der angekündigten Vorstellung des Gutachtens zur Kollaboration des Auswärtigen Dienstes mit dem Terror-Regime der Nationalsozialisten hat ein Blogger die überaus renommierte Historiker-Kommission des Plagiats überführt.
Die zentrale These der Gutachter zur NS-Geschichte des Auswärtigen Dienstes, wonach "jeder Buchhalter im AA wusste, was da geschah", stützt sich auf Daten, die seit den 50er Jahren in der Fachliteratur bekannt und seit 1971 detailliert sogar im SPIEGEL nachzulesen waren. Die Rede ist von der Reisekostenabrechnung des "Judenreferenten" im Auswärtigen Amt, Franz Rademacher.
Der Sprecher der Historiker-Kommission Eckart Conze präsentierte den handschriftlichen Eintrag eines in der NS-Zeit dienstreisenden AA-Beamten mit dem Wortlaut "Liquidation von Juden in Belgrad" als Ergebnis seiner vierjährigen wissenschaftlichen Recherche - und dies offenbar in strategischer Absicht gleich in zwei parallelen Interviews, die der SPIEGEL und die FAZ ungeprüft abdruckten. Der FAZ war dieser "schockierende" Aktenfund sogar eine Veröffentlichung im Faksimile wert (im Bild unten).
Der Berliner Blogger war nach halbstündiger Recherche u.a. in der "wikipedia" auf einen im Internet frei zugänglichen Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1971 gestoßen, der nicht nur den Dienstreisebeleg Franz Rademachers erwähnte, sondern auch, dass Rademachers Dienstreisebegründung Gegenstand zweier Strafverfahren und eines Revisionsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof war.
Offen ist, ob - im Gegensatz zu den Vorabmeldungen - der ausführliche Bericht der Historiker-Kommission seine Quellen und den Umstand der früheren Veröffentlichung benennt. Dann aber wäre unklar, weshalb Joschka Fischer von dem Fund angeblich "entsetzt" gewesen war, und Frank-Walter Steinmeier es "unglaublich" fand, "dass mehr als 60 Jahre bis zur systematischen Aufarbeitung vergangen seien".
Wahrscheinlicher ist, dass für Fischer und Steinmeier der SPIEGEL in den 70er Jahren wie heute zur Pflichtlektüre zählte - von noch kritischerer Literatur zum Thema NS-Eliten in der Bundesrepublik, die gerade in den 70er Jahren vermehrt erschienen war, einmal ganz abgesehen.
Es besteht daher der begründete Verdacht, dass ein sichtlich redundantes Historiker-Gutachten bestellt wurde, um eine Institution, die Steinmeier vor Amtantritt ehrfurchtsvoll noch "die Formel 1 der Ministerialbürokratie" nannte, unter einem historiografisch zwar nicht konstruierten, aber längst obsoleten Vorwand "an die Boxen zu schicken".
Das 900 Seiten umfassende Gutachten wird am Donnerstagabend in Berlin vorgestellt. Bereits die Verlagsankündigung liest sich wie ein unfreiwilliges Oxymoron: "Die von Außenminister Joschka Fischer 2005 berufene Unabhängige Historikerkommission präsentiert ihren Bericht gemeinsam mit den zwei Ministern, in deren Amtszeit die Arbeit der Kommission fiel: Frank-Walter Steinmeier und Joschka Fischer."
Fischer litt in seinem letzten Amtsjahr zusehends unter tief greifenden Führungskonflikten im Auswärtigen Amt. In seinen Memoiren schwadronierte Fischer dann über das "Eigenleben des Auswärtigen Dienstes".
Denkbar ist, dass Fischer gelegentlich auch auf Rache an den alten Eliten des Auswärtigen Dienstes sann (der SPIEGEL dieser Woche betitelt seinen Artikel über das Gutachten denn auch als "Angriff auf die Mumien").
Dass Fischer aber (in Anlehnung an den Titel eines Bestsellers von Daniel Goldhagen) "willige Vollstrecker" in einer vom Steuerzahler finanzierten Historiker-Kommission gefunden haben könnte, wäre dann doch ein Skandal. Man darf auf die öffentliche Präsentation des Gutachtens am Donnerstagabend im Berliner "Haus der Kulturen der Welt" gespannt sein.
Titel: „Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ von Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann, erschienen im Blessing-Verlag München
Bürgerreporter:in:Lorenz Stiefelknecht aus Berlin |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.